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Fisch, weder einen großen noch einen kleinen, sieht. wenn aber der erste Tag der Fastenzeit kommt, findet man die schönsten Fische in dem See und auch in großer Menge. Dieses dauert die ganze Fastenzeit bis zum Karsamstag. Von da ab finden sich keine Fische mehr darin bis zum folgenden Jahre. Dies wiederholt sich stets, was doch ein großes Wunder ist.[1]

In den Dörfern, durch die wir nun kamen, sind die armseligen Hütten aus Stein errichtet. Der Heuvorrat ist in kleinen Haufen auf den flachen Dächern auf, gespeichert. Ganz zur Seite befinden sich große Haufen von Torf, der für den Winter bestimmt ist. In der Dämmerung wurden wir dadurch an die georgischen Auls erinnert, weil diese Torfhaufen dem Dorfe ein kriegerisches Aussehen geben, das allerdings schlecht zu den Gewohnheiten der armenischen Dorfinsassen paßt.

Das Posthaus in Akhta, das wir gegen zehn Uhr des Abends erreichten, enthält wie gewöhnlich bloß zwei Zimmer; davon war das eine mit allem Möglichen vollgepfropft, und in dem andern verbarrikadierte sich gerade ein Türke mit dem Mute eines Verzweifelnden; er mochte wohl recht haben. Der Arme reiste vielleicht mit einer seiner Frauen, und dann kann man ihm sein eifersüchtiges Vorurteil nicht verdenken. Da er uns aber keinen Grund zu seiner Absperrung angab, fanden wir das sehr sonderbar. Ich stemmte mich gegen die Thüre und schrie ihn mit einer wütenden Stimme und in einer drohenden Haltung an. Dadurch wurde der arme Teufel eingeschüchtert und entschloß sich, das Posthaus zu verlassen, um sich irgendwo anders ein Unterkommen zu suchen. In diesem Augenblick des Rückzuges bemerkten wir noch ein fremdes Wesen, so eine Art Päckchen von Schleiern und Decken, das sich mit großen Schwankungen vorwärts bewegte. Diese Entdeckung lieferte uns auch den Schlüssel zu der vorhergegangenen Szene, er hatte wirklich seine Frau bei sich.

Während ich so mit dem Türken kämpfte, unterhandelte Hyvernat mit dem Postmeister. In einem glücklichen Augenblick richtete er an diesen die Frage, wie

  1. Marco Polo nennt hier Georgien. Man hat schon versucht, den in Rede stehenden See als den Wansee zu betrachten. Die Uferanwohner des dortigen Sees fischen in Wirklichkeit bloß zwei Monate lang im Frühjahre und behaupten, während des übrigen Teiles des Jahres keine Fische in dem See finden zu können. Aber diese Annahme scheint aus mehreren Gründen unzulässig:
    1. Der Wansee gehörte niemals zu Georgien.
    2. Ramusio schreibt noch zu der Legende, daß man den See in vier Tagen umgehen könne. Das trifft auch bei dem See von Sewenga, aber nicht bei dem Wansee, zu, zu dessen Umgehung mehr als das Doppelte der Zeit erforderlich ist. Ferner wird etwas vom Salzsee erwähnt. Der Wansee hat salziges Wasser; aber auch der See von Sewenga hat in seinem östlichen Teile salzhaltiges Wasser.
    3. Wenn Marco Polo die in dem See gefangenen Fische die besten der Welt nennt, so kann er nicht die des Wansee gemeint haben, der nur eine kaum genießbare Art (Abletten) enthält. Der Name Leonhard scheint wohl durch eine Verwechselung in den Bericht gekommen zu sein, denn er ist kein armenischer Name. Er ist vielleicht mit der heiligen Nina, die in Georgien verehrt wird, verwechselt, oder er stammt von der heiligen Helena, woran auch der Name des Dorfes Elenofka erinnert. – Daß die Mönche die Forellen an der Sonne trocknen, läßt auch darauf schließen, daß es nicht immer daselbst Forellen giebt oder gab; sie mögen den Brauch vielleicht beibehalten haben, wenn uns die Legende zur Zeit der Reise bekannt gewesen wäre, hätten wir genauere Nachforschungen anstellen können.
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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)