Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/56

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

weit der Gouverneur von Eriwan noch wohne. Der Postmeister glaubte nun nichts anderes, als daß wir über ihn Klage führen wollten. Ohne Zweifel war er auf diesem Gebiete kein Neuling mehr. Er schrie, geberdete sich wie unsinnig, stampfte mit den Füßen und raufte sich die Haare; eine solch komische Szene läßt sich kaum denken. Endlich gelang es uns, ihm klar zu machen, daß wir keine feindliche Absichten hätte, worauf er sich beruhigte und sich in Entschuldigungen erging.

Wir schlugen nun unsere Feldbetten auf, was schon einen kleinen Auflauf verursachte; aber als wir mit dem Stiefelknecht uns der Fußbekleidung entledigten, kannte die Verwunderung keine Grenzen mehr. Sofort machten wir die ganze Menge unserer Zuschauer glücklich, indem wir allen erlaubten, ihre Stiefel oder Babuschen mit unserm Stiefelknecht abzuziehen. Wir schliefen darauf ganz ruhig und auch ohne Gewissensbisse wegen der Vertreibung des Türken.

12. September.

Da wir mit einem Empfehlungsschreiben des Fürsten Schervatchidza an den Gouverneur von Eriwan, den General Schalikoff, versehen waren, wollten wir ihm in seinem Sommerhause zu Daraschitschak einen Besuch abstatten. Dieses liegt in den Bergen, sieben Werste ungefähr von Akhta. Die kleine Reise wurde von uns in einer Perekladnoi zurückgelegt.

Die russischen Beamten suchen meist der Sommerhitze von Eriwan zu entgehen und bauen sich gewöhnlich Landhäuser in den Gebirgen. Hierzu haben sie sich das Thal des Sautsch-Bulak, eines Zuflusses des Senga, gewählt. Diesem Thal haben sie den Namen Daraschitschak oder Blumenthal gegeben. Lange vor den Russen hatten schon die alten Könige von Armenien in diesem Thale ihr Sommerquartier genommen. Ihre Residenz lag auf dem rechten Ufer des Sautsch-Bulak und hieß Ketscharus (auf türkisch: Sandscherlü). Sie lag an dem Abhang des Gebirges ungefähr zwei Werste von dem Flusse entfernt in einem kleinen, waldigen Thale.

Eine bessere Wahl hätte kaum getroffen werden können. In einer Höhe von ungefähr 2000 Metern ist dieser Sommeraufenthalt durch ein vorzügliches Trinkwasser und eine sehr reine Luft geradezu herrlich zu nennen. Auch Ketscharus hat einst bessere Tage gesehen. Aber davon ist heute alles verschwunden bis auf eine Gruppe halbzerfallener Kirchen, die aber trotzdem zu den besten Repräsentanten des armenischen Stiles gezählt werden können.

Eine Niederlassung der Malakhanen setzte sich in Ketscharus fest und nannte es Konstantinowskoi; endlich schlugen die russischen Beamten ihre Sommerlager daselbst auf und veranlaßten dadurch, daß ihre Benennung des Thales die übrigen so ziemlich verdrängte; heute ist Daratschitschak der gebräuchlichste Name. (Dieser einzige Ort hat also vier Namen: Ketscharus, Sandscherlü, Konstantinowskoi und Daraschitschak. Dieses kommt im Orient sehr häufig vor. Je nachdem der Führer irgend einem Stamme angehört, benennt er die Orte, und so kann es vorkommen, daß es dem Reisenden schwer fällt, sich zurechtzufinden, namentlich wenn er bis dahin einen andern Namen für den betreffenden Ort gekannt hat.)

Daraschitschak ist ein kleines Dorf und liegt in dem Abhang unterhalb der alten armenischen Kirchen. Die Wohnungen der russischen Beamten sind sehr

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)