die Medizin und die Naturwissenschaften. In den Laboratorien der Chemiker und Physiker, der Botaniker und Zoologen und Physiologen und Pathologen Deutschlands sammeln sich die begabtesten Jünglinge der ganzen Welt, um bei uns das Beste zu lernen, was sie lernen können, um das zu gewinnen, was sie als unverlierbaren Schatz in das ganze spätere Leben hinausnehmen. Worin besteht das? Es besteht darin, daß sie hier zu Mitgliedern einer Familie aufgenommen werden, die unter der mehr brüderlichen als väterlichen Führung des Lehrers gemeinsame Ziele der reinen Wissenschaft anstreben. Wie im Kindergarten alle Liebe zum Kinde die gröbsten Mißgriffe in seiner Behandlung nicht verhindert hätte, wenn nicht die aufklärende Wissenschaft dazugetreten wäre, so würde im Unterrichtslaboratorium der größte Scharfsinn und die glänzendste Ausstattung keine Erfolge bewirken, wenn nicht von allen Beteiligten, in erster Linie vom Lehrer, die tägliche Arbeit als eine Herzensangelegenheit empfunden würde. Ich gebe gern zu: es sind Ideale, die ich schildere, und im einzelnen Falle bestehen mancherlei Abweichungen davon. Aber es sind bewußte Ideale, denen man sich nähern kann, und die Fälle sind glücklicherweise nicht selten, in denen eine sehr gute Annäherung erreicht wird.
Es wird vielleicht Verwunderung hervorrufen, daß ich Klagen und Anklagen in Aussicht gestellt habe, und nun damit beginne, daß ich lobe und rühme. Ich habe es getan, weil ich mich mit allen nach Schulreformen Strebenden einig weiß darin, daß wir nicht bloß negativ Tadel und Vorwurf ausdrücken wollen, sondern positive Arbeit in solchem Sinne leisten, daß wir
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)