Um harmonische Persönlichkeiten in diesem höheren Sinne erziehen zu können, ist allerdings eine Voraussetzung erforderlich, die mit aller Energie betont werden muß, nämlich, daß der einzelne Lehrer nicht eine zu große Schülerzahl zu pflegen habe. Dies ergibt sich selbst unter den augenblicklichen Verhältnissen beinahe von selbst, wenn die Anzahl der Schuljahre für den einzelnen Schüler und die Anzahl der täglichen Stunden durch eine sehr weitgehende Einschränkung des Sprachunterrichtes entsprechend vermindert worden ist. Versuche ich, mir den Schulbetrieb vorzustellen, wie er sein sollte und künftig sein wird, so wird er dem Verfahren in der Unterrichtswerkstatt oder im Unterrichtslaboratorium ähnlicher sein, als irgendeiner anderen Unterrichtseinrichtung. An Stelle des starren Dasitzens auf den Klassenbänken werden wir ein freies Hin und Wieder zwischen Schülern und Lehrer haben, bei welchem von Disziplin nicht mehr die Rede zu sein braucht, als etwa auf einem gemeinsamen Spaziergange. Denn ich denke mir, daß auf dem Boden der künftigen Schule eines der schönsten Verhältnisse sich wieder entwickeln kann, welches die Menschheit kennt, weil es eines der allgemeinsten und natürlichsten ist: das der gegenseitigen Freude und Freundschaft zwischen Lehrer und Schüler. Glücklicherweise gibt es auch unter den jetzigen kümmerlichen Verhältnissen einzelne sieghafte Lehrerpersönlichkeiten[WS 1], die ein derartiges Verhältnis mit ihren Schülern entwickeln können; sie werden aber an dessen freier Ausgestaltung überall auf das empfindlichste durch das Reglement, das Klassenziel, die Revision, und wie alle diese trostlosen Erfindungen eines dürren Bureaukratengeistes
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Lehrerpersönkeiten
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)