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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der es nicht weiß, noch versteht, noch erfahren hat, wie wenig man in den höhern Lebenskreisen bei solchen Ansichten gilt und bleiben kann und wirken kann? Wer wird sich so etwas zu sagen getrauen? Wer kann St. Paulum meistern, wenn er in das mühselige Wirrsal des gegenwärtigen Christenstaates hinein seine Posaunenstimme erschallen läßt: „Werdet nicht weltförmig“?! – Gebt aber Acht, meine lieben Brüder; St. Paulus fährt noch weiter fort und spricht: „Verändert euch aber durch Verneuerung eures Sinnes.“ Also ist es der alte Sinn, den der Apostel nicht leiden kann, er mag sich gebärden und eine Form annehmen, wie er will. Der Christ muß schon auch eine Lebensform haben, eine Form, die ihm nicht angeboren ist, in die er hinein wachsen und werden muß. Kein unförmlich Wesen Gott gefällt. Wenn das nicht wäre, so würde der Apostel nicht sagen: „Verändert euch“, oder wie es eigentlich heißt: „Verwandelt euch, nehmt eine andre Form an.“ Es soll nur die rechte Form sein. Die aber entsteht nicht durch Anbequemung an die Welt, sondern durch Verneuerung des Sinnes. Die Welt ist alt, das Christentum ist neu. Verneuert wird der Sinn, die Einsicht, der Verstand, wenn er der heidnischen, abgöttischen, abfälligen, sich immer gleichen finstern Welt den Abschied gibt und christlich wird, dem Sinne Christi und seiner Apostel ähnlich. Christlich und neu, das ist eins, je christlicher dein Sinn wird, je durchdrungener dein Geist von dem Geiste Christi, desto unwillkürlicher wird dein ganzes Leben und alle seine Form erneut und der Sinn der lautern Einfalt, das reine Gegenteil der Welt, wird dann innerhalb des breiten Weges und der dichtgedrängten Massen wie ein Fremdling gehen, ja wie nach der Fabel im Lande der Höckerigen der Mann von graden Gliedern gieng. Es ist allerdings ein Wandel in solcher Umgebung nicht angenehm zu nennen, er fühlt sich nicht wie Erdenglück an, aber er hat dennoch seinen Lohn. Diesen Lohn verkündigt der Apostel mit den Worten: „auf daß ihr prüfen oder in Erfahrung bringen möget, welches da sei der gute, wolgefällige, vollkommene Gotteswille.“ Wer weltförmig und dabei ein Christ sein will, dem fehlt das Organ, in allen Fällen den Willen Gottes zu erkennen und seine Wege zu gehen. Unsicher wird das Auge, das Herz, der Gang: die immerwährende Rücksicht, die man auf die Welt zu nehmen hat, läßt nach keiner Seite hin ganz und aufrichtig werden. Durch die selbsterwählten Klippen schiffen, unversehrt, wenn auch mühevoll, schwimmen, sich durchschlagen mit Politik und Winkelzügen und am Ende des Lebens auf der Einbildung ausruhen, als habe man ein reiches Leben und große Erfahrungen hinter sich, das ist die Herrlichkeit der Weltförmigen. Gott aber läßt es den Aufrichtigen gelingen, und bei der täglichen Verneuerung, Reinigung und Läuterung des Sinnes gewinnen sie auch täglich mehr das Auge der Einsicht in das, was Gottes guter, wolgefälliger und vollkommener Wille in allen Fällen sei. Denkt an den Knaben JEsus im heutigen Evangelium. Er weiß, daß er sein muß in dem, das seines Vaters ist. Das ist Gottes guter, wolgefälliger, vollkommener Gotteswille über ihm. Maria und Joseph, so heilig sie sind, erkennen diesen Willen nicht, aber JEsus erkennt ihn. Das macht der neue Sinn, den er hat, der sich in ihm entfaltet, wie der Tag, in welchen die andern erst allmählich durch Verläugnung dieser Welt hinein wachsen müßen. – Wenn euch das Verhältnis des Christen zur Welt als reine Scheidung nicht richtig gefaßt zu sein scheint, so laßt nur euren Sinn erneuert werden durch den Geist des HErrn, so dringt nur auf dem Wege der Herzensreinigung in die völligere Erkenntnis des göttlichen Willens hinein. Daß wir dies alles sollen, daran zweifelt kein verständiger Christenmensch, und thun wir’s, so werden wir bald auch in dem einig sein, worüber der eine und andre bedenklich ist, nemlich, daß im Reiche Gottes keine Weltförmigkeit gilt.

 Es ist aber bereits gesagt worden, daß sich die in unserm Texte enthaltenen Ermahnungen des heiligen Apostels teils auf das Verhältnis zu Gott, teils auf das zur Welt, teils auf das zur Kirche beziehen. Wir stehen nun bei diesem dritten Teile, welcher der Ausführung nach in unserm Texte den meisten Raum einnimmt, ohne daß man doch sagen könnte, daß er mehr und der Erklärung bedürftigere Gedanken enthalte, als die zwei vorigen Teile. Im Gegenteil macht die apostolische Ausführlichkeit die größere Ausführlichkeit der Predigt überflüßig.

 Der Apostel gründet die Belehrung über das Verhältnis des Christen zur Kirche auf die uns bekannte apostolische Lehre von der Kirche als einem Leibe, der aus vielen Gliedern besteht. „Gleichwie

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/100&oldid=- (Version vom 1.8.2018)