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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

das die unheilvolle, unglückselige Folge jener Vermengung des Weltlichen und Geistlichen, welche in die Kirche eingedrungen ist, seitdem die Staaten christlich werden wollten und die Völker massen- und haufenweise nicht blos unter die Katechumenen, sondern geradezu unter die Gläubigen aufgenommen wurden. Der Uebertritt der meisten zur christlichen Religion war nicht voller Ernst der Seele, sondern geschah aus irdischen, zeitlichen und sündigen Gründen. Sie ließen sich taufen, stellten sich in äußerlichen Formen der Kirche gleich, blieben aber innerlich, wer sie waren und brachten ihre Urteile, Sitten und Freuden in die Gemeinde Christi mit herein. Wie die heiligen Patriarchen die Kainiten nicht bekehrten, wol aber ihre Kinder von denselben dermaßen verderbt wurden, daß am Ende Gott nicht blos von den Kainiten, sondern vom ganzen menschlichen Geschlechte sagen mußte: „alles Fleisch hat seinen Weg verderbt;“ so gieng es auch mit der Kirche. Sie wurde der Heiden nicht Meister, die wie Ströme in ihre Gebiete strömten, wol aber riß der Strom des heidnischen Wesens in die christlichen Gebiete ein und zerstörte das Gute, was da war. Ein wenig Sauerteig verderbt den ganzen, Teig, wie viel mehr mußten solche Massen von Sauerteig den neuen, süßen Teig verderben. Seit Constantin dem Großen bis auf unsre Zeiten hat die Kirche, und zwar in allen Confessionen, die schwere Strafe der Verweltlichung zu tragen, dafür, daß sie nicht bleiben mochte, was sie sein sollte, ein schmaler Weg, sondern mit Willen wurde, was sie nie hätte werden sollen, ein breiter Weg. Es ist zu verwundern und ist ein Beweis von überschwänglichem, göttlichem Segen und unverwüstlichem Leben, daß es nach 1500 Jahren einer solchen Mischung nur noch überhaupt eine Kirche gibt, daß nur noch ein Kampf gegen das Böse da ist, daß nur noch innerhalb der Kirche das unterschieden wird, was eigentlich Welt und eigentlich Kirche ist, daß nicht aller Unterschied aufgehört hat und das Böse nicht wie eine Sintfluth den Boden der Kirche bedeckte. Dagegen ist es aber auch unter solchen Umständen gar nicht zu verwundern, wenn immer neu die Frage aufgeworfen wird: wie weit darf ich mit der Welt gehen. Hat doch die Kirche im Ganzen und Großen die Welt in ihre Mauern aufgenommen und eine Vereinbarung mit ihr getroffen, vermöge welcher sie mit ihr auf einem Boden, wie die Philister mit den Kindern Gottes wohnen muß. Bei solcher Grenzverrückung und Grenzverstrickung, bei solchem Durcheinander des Guten und Bösen ist es erklärlich, wenn einem die Augen vergehen und aller klare Blick der Einfalt verloren geht. Was ist das aber im Grunde auch für eine Frage: wie weit soll ich’s mit der Welt halten? Die Frage schon beweist, daß das Herz vergiftet ist; die Frage schon ist falsch. Frage lieber einfach: „Soll ich’s mit der Welt halten, oder nicht“; so bekommst du die Antwort: Nein, du sollst es mit der Welt nicht halten; der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft. Damit ist dir dann die weitere Frage, wie weit du’s mit der Welt halten sollst, ganz erspart. Gar nicht sollst du’s mit der Welt halten, es gibt kein gerechtes Maß der Weltliebe; das geringste ist zu viel; alles was in der Welt ist, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. – Wollte man aber sagen: innerlich begehre man es allerdings mit der Welt nicht zu halten, äußerlich aber könne man es nicht immer vermeiden, es sei puritanische Beschränktheit, das nicht einzusehn; so kann es wol sein, daß die Kinder der Wahrheit einen Augenblick von dem lähmenden Zauber berückt werden, welchen die Anwendung von Secten- und Puritaner-Namen auszuüben pflegt; aber lang kann die Benebelung bei denen nicht dauern, die am Wort und bei der Wahrheit bleiben, denn nach dem Worte Gottes soll man auch Weltförmigkeit vermeiden. „Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der Welt,“ sagt St. Paulus, was heißt das anders, als: wir sind geschiedene Leute, geschieden innerlich und äußerlich, geschieden für immer. Unser Verhältnis zu Gott heißt Opfer, unser Verhältnis zur Welt heißt Scheidung. Eines so einfach, wie das andre. Will aber jemand diese Lehre nicht annehmen, so weisen wir ihn einfach auf den zweiten Vers unsers Textes und legen ihn wie ein rothes, leuchtendes Siegel der Gewisheit und der Wahrheit der gepredigten Lehre vor eure Augen. „Stellet euch nicht dieser Welt gleich,“ sagt der Text, oder näher beim Worte zu bleiben: Nehmet nicht einerlei Lebensform mit der Welt an, seid nicht weltförmig. So sagt St. Paulus, und der kannte die Theologie der Rücksichten und die christliche Politik der Klugen ohne Zweifel vortrefflich. Warum sagt der Mann, der weder Pietist noch Puritaner war, nicht anders? War er etwa auch beschränkt, wie ein Dorfpfarrer,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 092. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)