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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Indem wir nun zu der göttlichen Drohung übergehen, welche die drei nächsten Verse enthalten für alle Diejenigen, welche den Inhalt der beiden vorigen nicht beachten, sollte uns schon beim ersten Blick in diese Verse ein Schrecken anwandeln über den furchtbaren Ernst, welcher sich in den Worten Gottes und Seines Apostels ausspricht. „Das sollt ihr wißen, schreibt der Apostel, daß kein Hurer oder Unreiner, oder Habsüchtiger, der da ist ein Götzendiener, Erbe hat im Reiche Christi und Gottes“. Das ist eine Offenbarung aus dem ewigen Heiligtum, welche für uns die Kraft der stärksten Warnung haben sollte und mit der Macht einer göttlichen Drohung auf unser Herz eindringen könnte. Das Reich Christi und Gottes ist das Ziel der Weltgeschichte, das Ende aller Wege Gottes. Es beginnt hier in der Zeit, in der sichtbaren Kirche, es bereitet sich in himmlischer Glorie, in der für sterbliche Augen verborgenen ewigen Stadt Jerusalem, und wird dereinst zu der vom Vater festgesetzten Stunde auch in leiblicher Verklärung und Herrlichkeit hernieder kommen auf die neue Erde. Alle erlösten Seelen werden ewige Freude und Wonne darin haben, und ewig weh wird denen sein, die keinen Theil an diesem Leben der Ewigkeit bekommen können. Unter diesen bedauernswürdigen Menschen werden unserm Texte gemäß die Hurer, die Unreinen und die Habsüchtigen sich befinden. Selig werden sein die Traurigen, denn sie werden getröstet werden; selig die Gebeugten, die Niedergedrückten, denn sie werden das Erdreich besitzen; aber wehe den Wollüstlingen, von ihnen flieht ferne die ewige Lust und Freude des Reiches Christi und Gottes; wehe den Habsüchtigen, sie werden ewiglich verarmen! Das ist die Drohung, die unser fünfter Vers enthält. – Aber auch der sechste Vers enthält seine Drohung. „Laßet euch niemand verführen mit vergeblichen Worten, spricht St. Paulus, denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens“. Während also im fünften Verse nur dasjenige angegeben ist, was die Uebertreter des göttlichen Wortes entbehren und verlieren werden, zeigt der sechste Vers, was ihnen Erschreckliches an der Stelle des Entbehrten und Verlornen wird gegeben werden. Ihr Erbe im Reiche Gottes verlieren sie, und dagegen kommt über sie, über die Kinder des Unglaubens und Ungehorsams, der Zorn des lebendigen Gottes, deßen allmächtige Kraft sie niederwerfen wird in den glühenden Aufenthalt derer, die Gottes Angesicht ewig nicht mehr sehen. Wenn man den sechsten Vers unseres Textes, von welchem wir reden, ansieht, so kommt einem leicht der Gedanke, der göttliche Zorn, von welchem hier die Rede sei, sei wohl nicht der ewige Zorn, sondern ein zeitlicher; jener Zorn, welcher die cananäischen Völker, die in den hier genannten Sünden wandelten, ergriffen hat und sie vom Angesicht der Erde schonungslos ausrottete; jener Zorn, den wir auch mehr als einmal bei ähnlichen Anläßen unter den Kindern Israels hausen sahen: jener Zorn, der auch jetzt noch zuweilen unter den abtrünnigen Kindern einher geht und mit unwiderstehlicher Kraft in der Zeit schon niederwirft und verderbt. Allein wo dieser Zorn ist, da ist auch der ewige. Die Seinigen züchtigt der HErr wohl, damit sie nicht mit der Welt verloren gehen; er richtet sie, damit Er sie nicht verdammen darf; die abtrünnigen Kinder hingegen, die Kinder des Unglaubens und Ungehorsams, ergreift Er hier und vernichtet sie dort; hier zerscheitert, dort zermalmt Er sie und bezahlt ihnen doppelt in Zeit und Ewigkeit den Lohn ihrer irdischen Arbeit, d. h. die wohlverdiente Strafe. So schreitet also auf alle Fälle die Drohung gegen die Uebertreter des sechsten und siebenten Gebots in unserm Texte vorwärts, und die Steigerung, die wir lesen, ist eine von dem Apostel und dem Geiste, der ihn treibt, beabsichtigte. Der Apostel weiß wohl, was für eine Auffaßung der genannten Sünden in der Welt gang und gäbe ist und wie sich alles bemüht, Sinn und Gewißen für die Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes zu ertödten, jeder Begierde aber, das Recht ihrer Erfüllung zuzusprechen. Er weiß, wie die Knechte und Sklaven aller Lüste und Begier den als Verführer am Lebensweg Anderer stehen und sie zu sich hinüber zu locken bemüht sind. Er weiß, wie Viele der Lockung erliegen, die Stimme vom Zorne Gottes verlachen und die Reden von einer ewigen Pein und Strafe der Ungehorsamen als Ammenmährchen verhöhnen. In unsern Zeiten erleben wir sogar, daß nicht bloß lebende Ungläubige, sondern Poltergeister, Erscheinungen und Teufel uns Lebende zur Gleichgiltigkeit gegen die Drohungen des göttlichen Zornes zu bringen und uns alle Furcht

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)