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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Textes und es wendet sich mit dem Inhalt. Es lag über dem HErrn große Angst und ein schreckliches Gericht des Allmächtigen, darum Er auch mit großem Geschrei und Thränen um Erhörung flehte. Aber Er ist aus der Angst und aus dem Gerichte genommen und weggerißen aus dem Lande der Lebendigen. Wenn auch der Weg, auf dem Er dahin gerißen war, finster und furchtbar gewesen ist, so ist Er ihn doch um Seines heiligen Zweckes willen gegangen. Er hat Sich um der Missethat Seines Volkes willen plagen, strafen laßen, und ob auch Seine Zeitgenoßen nicht mit Ihm gefühlt haben in Seinem großen Kampfe, so ist doch Sein Kampf geendet, und Er hindurch gedrungen zur Sicherheit und Ruhe eines ewigen Lebens. Niemand kann Seines Lebens Länge ausreden, und das Glück des Friedens, zu welchem Er Sich hindurchgerungen hat. – Bei diesem Gedanken, meine lieben Brüder, dem Gedanken des achten Verses unsers Textes, beginnen wir aufzuathmen. Der Tod ist vorüber und das Leben ist gewonnen, der HErr ist zum großen Frieden gekommen und Seine Seele ist unter den Schaaren der Erlösten im Paradiese. Von der unaussprechlichen Feier und Freude Seiner Ankunft im Paradiese redet die Schrift allerdings nichts; aber daß die Seele des HErrn bei ihrem Abschied aus dem Leibe zum Paradiese gegangen ist, das kann keinem Zweifel unterliegen, weil Er dem bekehrten Schächer ein seliges Zusammentreffen dort Selbst versprochen hat. Ist es aber gewis, daß der HErr dorthin gegangen ist, und Seine heilige, mit der Gottheit vermählte Seele, die drei Tage Seines leiblichen Todes, dortselbst Rast gehalten hat, so ist es nicht mehr blos eine eitle Phantasie, von den Freuden der Paradiesesfahrt JEsu zu reden und das unaussprechliche Glück Seiner heiligen, abgeschiedenen Seele zu preisen. – Während aber der achte Vers des Textes das Glück der heimgegangenen Seele JEsu beschreibt, führt uns der Prophet im neunten zu der Ruhestatt Seines Leibes. Man bestimmte Ihm zwar Sein Grab unter den Gottlosen und hatte vor, Ihn mit den Schächern zu begraben, die zu Seiner Rechten und Linken hiengen. Es fügte sich aber nach Gottes Willen, daß Er Sein Grab fand bei einem Reichen. Als Er geboren wurde, mußten armselige Umstände der Geburt hinzu treten, auf daß dieselbe eine Anfangsstufe Seiner Erniedrigung würde, denn an und für sich selbst ist die Geburt wie die Empfängnis keine Erniedrigung. Dagegen aber brauchte bei dem Begräbnis kein erniedrigender Umstand hinzu zu treten, da das Begräbnis an und für sich selbst schon eine tiefe Erniedrigung ist für denjenigen, deßen heilige Menschheit durch ihre Gerechtigkeit ohne Vergleich eine Erbin unendlichen Lebens war, mehr als die Menschheit Enochs und Eliä. Darum wurde nun auch vorgesorgt, daß JEsus Christus nicht bei den Gottlosen Sein Grab fände, sondern im Garten und ausgehauenen Felsen des frommen Joseph von Arimathia. Seinem heiligen Leben, da Er niemand Gewalt oder Unrecht gethan hat, auch kein Betrug in Seinem Munde erfunden wurde, entspricht nach Gottes heiligem Willen die Ehre Seines Begräbnisses. Wie die Seele des HErrn in heiliger Gesellschaft im Paradiese war, so befindet sich Sein Leib im Garten und Besitztum des frommen Joseph, und ein Schimmer der eintretenden Wendung und kommenden Herrlichkeit blinkt bereits in dem köstlich schönen Grabe bei Golgatha. Da, meine lieben Brüder, seufzt man noch einmal auf und athmet frisch. Der Tod ist vorüber, die Seele ist im Paradiese und der Leib ist abgenommen vom Kreuze, und ei, wie friedlich und schön bestattet. Eine Stille, wie die des Charfreitagabends, weht einen an, so oft man das bedenkt. – Dabei aber bleibt der Text nicht stehen, der Prophet führt uns aufwärts. „Der HErr wollte Ihn also zerschlagen mit Krankheit; wenn Er nun aber Sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so soll nicht bloß Seine Seele im Paradiese ruhen und Sein Leib im Grabe Josephs, sondern Er soll nun auch wieder emporkommen mit Leib und Seele zum neuen Leben, Samen haben, in die Länge leben, und des HErrn Vornehmen soll durch Seine Hand fortgehen.“ Volle Wendung. Die Hände, die durchbohrten, die am Kreuz erstarben, haben den Tod erwürgt; die durchbohrten Füße stehen auf festem Boden und gehen durch die Welt hin einen Herrschergang, und wie alles was gemacht ist, gemacht ist durch den ewigen Sohn, ehe Er Mensch wurde, so wird nun alles erhalten und regiert durch denselben, nachdem Er Mensch geworden ist. Der Menschensohn ist HErr eines ewigen Thrones; aufgefahren in die ewigen Höhen, regiert Er die Welt, und lenkt sie mit einem sanften, aber allmächtigen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/237&oldid=- (Version vom 1.8.2018)