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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

erneutes ist, das eben lesen wir in unserem Texte. JEsus, verklärt durch die drei Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit – im Himmel – in Ewigkeit: welch’ ein Gedanke ist das, welch’ eine Ehre JEsu, welch’ eine Verklärung, welch’ eine Erhörung jenes Gebetes, welches Er in der Nacht, da Er verrathen ward, am Rande Seiner tiefsten Erniedrigungsthale gebetet hat, da Er rief: „verkläre mich Du, Vater, mit der Klarheit, die ich bei Dir hatte, ehe der Welt Grund gelegt ward.“ Es kommt uns hier nicht zu, uns in diese Gedanken der höchsten Höhe zu verlieren, sondern wir stehen ehrfurchtsvoll in unserer weiten Ferne, gedulden uns, sehnen uns, bis auch wir dahin gelangt sein werden, wo das dreieinige Zeugnis Gottes von JEsu Christo in die Ewigkeiten der Ewigkeiten ertönt.

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 Wenden wir uns nun zum zweiten Zeugnis, von welchem der Text spricht, zum Zeugnis JEsu auf Erden. Von diesem Zeugnis spricht der Apostel mehr als von dem himmlischen, weil wir ja selbst noch auf Erden sind und uns daher das Zeugnis Gottes, das Er auf Erden von Seinem Sohne zeuget, näher angeht, uns auch mehr empfohlen werden muß, als jenes himmlische. Auch dieses irdische Zeugnis ist ein dreifaches, und einfach im achten Verse benannt. „Drei sind“ heißt es hier, „die da zeugen auf Erden, der Geist und das Waßer und das Blut, und die Drei sind beisammen, oder wörtlich, die Drei sind in eins.“ Was soll das heißen, sie sind in eins, oder sie sind beisammen? Soll es heißen, wo das eine ist, ist auch das andere, und wo eins ist, sind alle drei? Dann würden wir aber in beide Sakramente, der Taufe und des Abendmahles, des Waßers und des Blutes, nicht bloß den Geist, sondern immer auch beides, Waßer und Blut, versetzen müßen, was bei aller Nähe der Gedanken am Ende doch nicht wird angenommen werden dürfen. Es steht ja auch nicht wörtlich im Texte, sie sind beisammen, sondern sie sind in eins, oder sie gehen auf eins, sie beziehen sich auf eins und sind in dieser ihrer Beziehung und in dem Inhalt ihres Zeugnisses einmüthig, einhellig, einträchtig: das dreifache Zeugnis des Geistes, Waßers und Blutes hat einerlei Ziel, einerlei Gegenstand, einerlei Absicht, einerlei Inhalt und verklärt immerhin JEsum, Seine Person und Sein Werk. Ist aber das, so fragt es sich, was ist das Zeugnis des Geistes, des Waßers, des Blutes? Blicken wir suchend über unsern Text hin, so begegnet uns der sechste Vers als nächste und herrlichste Parallele des achten. „Dieser ists, der da kommt mit Waßer und Blut, JEsus Christus, nicht mit Waßer allein, sondern mit Waßer und Blut, und der Geist ists, der da zeuget, daß Geist Wahrheit ist.“ Ein merkwürdiger Vers, der unsere tiefste Seele zur Betrachtung und zum Nachdenken aufruft. Wer kann ihn lesen, ohne an jene Begebenheit zu denken, die sich um die Todeszeit JEsu an Seinem erblaßten Leichnam zutrug? Ihr erinnert Euch ja, daß man dem HErrn die Beine nicht zerschlug, wohl aber mit einem Speere Seine Seite öffnete, und daß sich aus der Oeffnung Waßer, reines Waßer und Blut ergoß, und das in einer solchen Weise, daß der Apostel Johannes, der Augenzeuge, noch in der spätern Zeit, da er sein Evangelium schrieb, bei der Erinnerung sich gehoben fühlte und voll Verwunderung ausrief: „Der das gesehen hat, der hat es bezeuget und sein Zeugnis ist wahr und derselbige weiß, daß er die Wahrheit sagt, auf daß auch ihr glaubet“ Joh. 19, 35. Es muß ein wunderbares, gewaltiges, dem natürlichen Zustand des Leichnams JEsu widersprechendes, ein übernatürliches Ausströmen Waßers und Blutes gewesen sein, ein reines Wunder Gottes am Leibe JEsu, das diese tiefe, bleibende Wirkung auf den Apostel Johannes hervorbrachte; der Vorgang selbst aber muß eine tiefe und große Bedeutung gehabt haben, weil Gott überhaupt kein Wunder, am allerwenigsten aber dieses ohne Absicht thut. Indes so groß das Wunder am Kreuze ist, so kann die Bedeutung desselben doch am Ende nur Vorbedeutung gewesen sein, keineswegs aber die Sache selber, von der in unserem Texte geschrieben steht. Wenn St. Johannes schreibt: „Dieser ist’s, der da kommt mit Waßer und Blut, JEsus Christus, nicht mit Waßer allein, sondern mit Waßer und Blut,“ so dürfen wir das Wörtchen „mit“ der deutschen Uebersetzung etwas schärfer ins Auge faßen, um es recht zu verstehen. Denn es deutet hier keineswegs auf eine Gesellschaft oder Begleitung, sondern vielmehr auf ein Mittel hin und recht nahe am Grundtexte würde der Vers vielmehr lauten: „dieser ists, der da kommt durch Waßer und Blut, JEsus Christus, nicht in dem Waßer allein, sondern in dem Waßer und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/261&oldid=- (Version vom 1.8.2018)