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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Zeugnis hervorbringt. Was durch zweier oder dreier Zeugen Mund bestätigt ist, daran zweifelt nicht einmal der Richter, das steht fest und wird eine Grundlage sogar jeder rechtlichen Entscheidung. Wenn nun aber Gott mit dreien Zeugnissen von Seinem Sohne und der durch Ihn gestifteten Erlösung zeuget, so muß das dieselbige Zeugniskraft haben, ja nicht bloß dieselbe, sondern eine um so viel höhere und stärkere als Gott der HErr über alle Seine Creaturen erhaben ist. Ist die Taufe, ist das Sakrament des Altares, ist die göttliche Predigt und die Kraft des heiligen Geistes, die aus ihr in die Herzen dringt, ein Zeugnis des Allerhöchsten für Seinen Sohn, so müßen wir, auch wenn unsere Augen Diesen nicht sehen, und unsere Sinne Ihn nicht wahrnehmen, dennoch mit großer Ruhe und im Frieden, ja mit voller Sieges- und Segensgewisheit es wagen, uns dem HErren JEsu anzuvertrauen im Leben und Sterben, für Zeit und Ewigkeit. Daher wollen wir, meine lieben Brüder, den Hauptgedanken unseres Textes, daß die Gnadenmittel Zeugnisse Gottes von JEsu Christo seien, uns allezeit, sonderlich aber an diesem Sonntage zueignen und unser Herz an diese heilige Wahrheit gewöhnen. Wenn die Taufglocke läutet, so wecke ihr Ton in unsern Herzen den heiligen Gedanken: nun zeugt Gott von Seinem Sohne. Wenn das Sakrament des Abendmahles gehalten wird und wir den Tod des HErren verkündigen, so laßt uns mit unseren Gedanken zu dem Satze einkehren: Das Abendmahl JEsu ein Zeugnis des Vaters vom Sohne. Und wenn das göttliche Wort mit Seiner heilsamen Kraft unsere Seele bewegt, so spreche unsere Seele in der Gegenwart des HErrn zu Ihm selbst: Das ist, o HErr und Vater, Dein Zeugnis von Deinem Sohne. So wird uns damit die große Wahrheit des heutigen Tages behältlicher und allmählich verständlicher werden und es wird uns dann auch der letzte Vers des zweiten Theiles unseres Textes nicht umsonst geschrieben sein, sondern unser inneres Erfahren und die zunehmende Gewisheit unserer Seele wird ihn bestätigen.

 Was soll ein menschliches Zeugnis wirken, meine Brüder? Ists nicht also, daß es Glauben wirken soll? Was wird Gottes dreifaches Zeugnis wirken sollen, wenn nicht ebenso den Glauben? Und wenn das dreifache Zeugnis des Vaters dem Sohne gegeben wird, an wen wird sich dann unser Glaube hängen, als an diesen, den eingebornen Sohn, zu welchem doch ohne Zweifel der Vater alle Menschen lenken und leiten, alle Seelen versammeln und in Ihm selig machen will. Nehmen wir das Zeugnis Gottes im Glauben an, so gilt uns der Vers, in dem Johannes schreibt: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das Zeugnis Gottes in sich, wer Gott nicht glaubt, der hat Ihn zum Lügner gemacht, weil er an das Zeugnis nicht geglaubt hat, welches Gott von Seinem Sohne gezeuget hat.“ Der Glaube ist also nichts anderes als ein Faßen, Haben und Halten des göttlichen Zeugnisses, für das göttliche Zeugnis die entsprechende, menschliche Besiegelung.

 Mit diesem letzten Verse kehrt unser Text zu seinem Anfang zurück. Wir haben ja schon bemerkt, daß der Anfang des Textes vom Glauben und seinem Siege handelt. Ist aber das Ende dem Anfang gleich, so ist es doch nur im Allgemeinen; denn es kann wohl niemand leugnen, daß am Ende der Epistel der Glaube in einer andern Beziehung gefaßt ist, als an ihrem Anfang. Am Ende sehen wir des Glaubens Richtung nach oben, am Anfang aber seine Richtung zur Seite hin. Am Ende erscheint er als ein vertrauensvoller Träger des göttlichen Zeugnisses von Christo JEsu, als ein Besiegeler der heiligen Sakramente und des göttlichen Wortes; sein göttlicher, seligmachender Inhalt und die Ruhe in demselbigen wird uns ans Licht gestellt. Dagegen sehen wir ihn im Anfang der Epistel in der Erscheinung, welche er unter der Menschenwelt annimmt und in der Wirkung, die er auf diese Welt ausübt. Er erscheint als eine neue Geburt, als eine Geburt aus Gott, und seine Wirkung gegenüber der Welt ist und heißt Sieg. Denn so sagt der heilige Apostel, „Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt. Und das ist der Sieg, welcher die Welt überwunden hat, unser Glaube. Wer ists, der die Welt überwindet, wenn nicht, der da glaubet, daß JEsus Gottes Sohn ist?“ Da finden wir ja beides ausgesprochen, nämlich, daß der Glaube ist die neue Geburt aus Gott, sowie daß diese neue Geburt oder der Glaube und zwar der christliche Glaube, daß JEsus der Sohn Gottes sei, die Welt überwindet. – Ich kann mir, meine lieben Brüder

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/263&oldid=- (Version vom 1.8.2018)