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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sei ferne. Der Christ erkennt wohl, daß die Reiche dieser Welt eine doppelte Seite haben, eine verschiedene Würdigung zulaßen; es wird ihm am Ende nicht heimisch bei allem Getriebe des weltlichen Wesens, aber – er fügt sich, er murrt nicht, er hebt die Hand nicht auf, er lästert die Majestät nicht, er übt einen Gehorsam in so weiten Grenzen, als er nur immer vor Gott, seinem Richter verantworten kann, und beweist eben damit, daß er ein Fremdling und Pilgrim ist und sich dem Wesen dieser Welt entzogen hat. Der himmlisch gesinnt ist, kann vielleicht eine Abneigung in sich finden, sich mit Politik und den Geschäften irdischer Staaten zu befaßen, aber ungehorsam, wo man gehorchen könnte und dürfte, kann und darf er nicht sein. Unterordnung, sanftmüthiges Dulden und Tragen, williges Leiden, wär’s auch unter einem Nero, dazu die Anerkennung und Hochachtung der Machthaber, die im Namen Gottes und durch Seinen Willen herrschen, ist und bleibt dennoch ein rechtes leuchtendes Kennzeichen aller derer, die aus Gott sind und auf Erden als Pilgrime und Fremdlinge wandeln. – Ein zweites Beispiel des Gehorsams stellt St. Petrus an den Sklaven auf. „Ihr Sklaven, sagt er, seid unterthan in aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen; denn das ist Gnade, so jemand um des Gewißens willen vor Gott das Uebel verträgt und leidet das Unrecht.“ Die griechische Sprache hat für das unter uns Deutschen gebräuchliche Wort „Sklaven“ einen doppelten Ausdruck. Gerade in unserer Stelle steht der seltenere. Der hier gebrauchte griechische Name deutet auf Sklaven, deren Eltern schon Sklaven gewesen sind, auf solche, die in der Sklaverei geboren wurden, mit der deutschen Bibel in der Geschichte Abrahams zu reden, auf hausgeborne Knechte oder Sklaven. Diese Sklaven sind also unter den Sklaven wieder, so könnte man sagen, die elendesten, und gerade sie, die mit ihrem Schicksal am ersten hätten hadern können, sollen als Muster der Unterordnung und des Gehorsams allen andern vorangehen. Ein Nero ist etwas Arges in einem Reiche, aber ein harter Sklavenherr ist etwas Aergeres. Sei Nero, wer er wolle, so ist er doch Kaiser und als solcher den meisten seiner Unterthanen so ferne gerückt und so hoch über ihnen stehend, daß er ihnen weniger beschwerlich wird, dagegen aber wie soll und kann ein Sklave dem harten Herrn entrinnen? Da gilt’s einen täglichen, stündlichen, ununterbrochenen, auf alle möglichen Dinge sich erstreckenden Gehorsam, der, wenn er geleistet wird, in der That der höchste Gehorsam genannt werden könnte und die tiefste Stufe der Unterthänigkeit, der Selbstverleugnung, der Hingabe in einen fremden Willen. Der Sklave soll seinen Herrn fürchten, denn es heißt: „seid unterthan in aller Furcht den Herren“; aber diese Menschenfurcht soll nicht die innerste Triebfeder der Unterordnung und des Gehorsams bei christlichen Sklaven sein; der niederträchtige Sklavensinn erstirbt im Blute JEsu, und der geborne Sklave wird durch die Wiedergeburt ein Freiherr, der fortan in seinem Verhalten gegen seinen Herrn hauptsächlich durch das Gewißen zu Gott und die Furcht Gottes regiert wird. Hier lerne man Pilger- und Fremdlingssinn: man trägt einen Nero, man trägt die Sklaverei mit getrostem, ja mit leichtem Muthe, weil man in der Fremde ist, von ihr nichts Gutes erwartet und doch bald in die Heimath kommt, wo sich alles ändert und anstatt eines Nero ein Christus, anstatt eines wunderlichen Sklavenherren ein süßer Abba und Vater der Barmherzigkeit regiert. Ich denke, meine geliebten Brüder, hier ist’s Zeit, ein wenig an die Brust zu schlagen und namentlich im Andenken der Jahre 1848 und 1849 Buße zu thun vor dem Gott, dem kein Aufruhr, keine Unruhe in den Staaten dieser Welt, kein Ungehorsam gegen die Obrigkeit, sondern allein der Gehorsam gefällt.

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 In unserm Texte findet sich ein Fortschritt vom Gehorsam zur Bescheidenheit. Wir faßen Bescheidenheit nicht in jenem gewöhnlichen Sinn, nach welchem man darunter ein Benehmen ohne Anmaßung und Uebermuth, ohne Muthwillen, voll Scheu und Ehrerbietung versteht. Auch in diesem Sinne ist die Bescheidenheit eine edle Tugend, und wenn sie auch mehr unbewußt demjenigen, der sie hat, und mehr aus einem guten inwendigen Triebe entsteht; so ist sie doch mit derjenigen bewußten Tugend, die wir im Auge haben, so sehr zusammengehörig, daß man geneigt sein könnte, sie nur wie eine äußere Erscheinung, wie eine Wirkung derselben anzusehen. Wir verstehen an dieser Stelle unter Bescheidenheit jene bewußte und besonnene Tugend, kraft welcher man nicht bloß seine eigene Gabe und Leistung in den Grenzen des

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/278&oldid=- (Version vom 1.8.2018)