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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

nicht völlig versiegt. Am Ende braucht man weder zu den Römischen, noch zu den Irvingianern zu gehen, um zu sehen, ob und was dort Gottes Finger wirkt. Am Ende kann jede Gemeinde reden. Ach, wir sind so gewöhnt und gelehrt, alles von Mittelursachen abzuleiten, daß wir die beste Ursache gar nicht mehr finden, daß wir kaum glauben, daß die letzte Ursache aller Dinge wirke alles in allem, durch Mittel und ohne sie. – –

 Laß uns beten, daß der HErr die Taufe und ihren seligmachenden Segen uns und unsern Kindern erhalte! Laß uns bitten, daß die Gaben des heiligen Geistes sich reichlicher ergießen und daß keinem unter uns die Augen fehlen, sie zu sehen, wo und wie sie sich ereignen. Laß uns um den vollen reichen Mantel JEsu Christi für unsre große Armuth bitten. Es ist uns armen, schwachen Geistern Frische und Erquickung aus der guten Hand des ewigen Hohenpriesters so nöthig.


Am Sonntage Exaudi.
Joh. 15, 26 – 16, 4.

 ER ist nicht mehr in menschlicher Weise auf Erden, nur in dem Himmel Gottes schaut man Ihn; bevor Er zum Gerichte wieder kommen wird, soll man Ihn auf Erden nicht schauen, sondern selig sind, die nicht sehen, und doch glauben. – Aber ist denn der Glaube so ein geringes Ding, daß man es ohne Ihn haben könnte? Wenn Er die Erde verläßt, wie soll man geistlich leben? – Dafür hat Er gesorgt, mein Freund! Er läßt die Armen nicht Waisen, für die Er Mensch geworden. Nicht bloß bleibt Er Selbst auf eine göttlich-menschliche, über Sinne und Verstand erhabene Weise dennoch gegenwärtig, wie Er gesagt hat: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“; – sondern Er sendet uns, eine neue Zeit zu beginnen, den Tröster, den heiligen Geist. Der Geist des HErrn war je und je in der Kirche, aber nach JEsu Auffahrt sollte Er in einer Weise Seine Gegenwart erweisen, daß man es schmecken und sehen könnte, wie freundlich Er in Christo JEsu den Menschenkindern ist. Nicht allein mit feurigen Zungen des Pfingstfestes, nicht allein mit Zeichen und Wundern, sondern insonderheit durch die in Beweisung des Geistes und der Kraft geschehende Predigt von dem Auferstandenen sollte die neue, die letzte Zeit vor der Ewigkeit ausgezeichnet werden. Die großen Thaten Gottes in Christo JEsu hatten die Jünger gesehen: was sie gesehen haben mit ihren Augen, was sie beschaut und ihre Hände betastet haben, – das sollten sie predigen, als Augenzeugen sollten sie reden, der Geist des HErrn aber sollte verhüten, daß in ihr Zeugnis nichts Unlauteres sich einmischte, auf daß in ihren Reden und Schriften ein reines Bild des HErrn JEsu Christi erschiene. So sollten sie zeugen im heiligen Geist. Der heilige Geist sollte aber auch durch sie zeugen. Er sollte ihnen JEsu Person und Werk verklären und ihnen alle Wahrheit und Gnade Gottes offenbaren, ihnen alles darlegen, wovon der HErr gesagt hatte: „Ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr könnets nicht tragen.“ Der heilige Geist sollte die Jünger lehren, daß sie JEsum, Seine Person, Sein Werk, Sein Amt im Lichte Seiner Erhöhung sähen – das Heil der Welt in Ihm, allein in Ihm, – und daß sie davon zeugen könnten, wie es geeignet wäre, die Welt zur Erkenntnis und Genuß ihres Heiles zu erwecken. – So zeugte der Geist durch die Jünger, so zeugt Er, wenn auch nicht wie durch die Augenzeugen, durch die Diener des Wortes, die aus Seiner Quelle schöpfen und in Seinem Lichte wandeln.

 Aber hast du nie gesehen, wie am Morgen die aufgehende Sonne auf finstere Nebel wirkt? Wie wogt da die Nebelwolke, wie empört sie sich gegen Gottes Licht? Wie groß ist die Sonne, wie schön! Wie lieblich und segensreich ist sie der Welt! Und die Nebel wollen mit ihr sich nicht vertragen, sich nicht gerne zu fruchtbaren Thautropfen lösen! – So wirkte, so wirkt auf die finstere, ach leider finsternisfrohe Welt die Sonne des Evangeliums, das Zeugnis des Geistes und Seiner Posaunen. Ach, wie wallt und braust, wie kämpft und wüthet die verlorene Welt gegen die einzige Rettung vom ewigen Verderben, die ihr vom Geiste des HErrn dargeboten wird!

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/366&oldid=- (Version vom 1.8.2018)