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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

des Glaubens, sondern von einer beßeren Lebensgerechtigkeit, als sie die Pharisäer und Schriftgelehrten hatten, und es werden in ihm an dem Baume dieser Gerechtigkeit einige der schönsten und prächtigsten Früchte gezeigt. Aber gerade wie wenn dem Baume die Wurzel enthüllt und dargelegt werden sollte, wie die Früchte, von denen das Evangelium und so viele Stellen der heiligen Schrift reden, nur aus der Wurzel erklärt werden können, redet die Epistel rein von der innigsten Lebensgemeinschaft des gläubigen Christen mit Christo, und führt in das Geheimnis des Glaubens ein wie nur irgend eine Stelle, die ein Abgönner der uralten Textwahl gegen sie eintauschen könnte. So wird durch ein leuchtendes Beispiel, das aber keineswegs vereinzelt steht, dem doch wohl ungerechten Vorwurf gegen die Textwahl widersprochen.

 Wende ich mich nun zu der Epistel selbst, diesem lauten Zeugnis von der innigsten Gemeinschaft der Gemeinde mit ihrem HErrn Christus, so muß ich gestehen, daß ich mich gegenüber dem Inhalte fühle und zwar sehr schwach und klein fühle. Ich kann eine Prüfungsfrage nicht abwehren, die sich mir aufdrängt, die nämlich: bin ich selbst so von dieser Gemeinschaft durchdrungen und erfüllt, daß ich es wagen kann, von ihr zu reden? Wenn ich prophetische Stellen zu behandeln, wenn ich vom Antichristus, vom endlichen Schicksale Israels, von dem Licht am Abend, von der Vollendung des Reiches Gottes reden soll, oder wie es ja manchmal geschieht, auch wirklich rede, so fällt mir immer die Meinung derjenigen ein, die da glauben, es dürfe den Gemeinden von diesen Thematen entweder nichts, oder nur dasjenige gesagt werden, was die kirchlichen Theologen des 16. oder auch 17. Jahrhunderts gesagt haben. Obgleich ich aber die Meinung wohl weiß, theile ich sie doch nicht, glaube im Gegentheil, daß es gar wohl Gemeinden geben kann, denen, mit Paulo zu reden, aller Rath Gottes enthüllt werden darf. Was meine Augen von der Zukunft lesen, was der Geist des HErrn insonderheit den Lehrern unserer Tage dargelegt hat und ihnen die Augen dafür geöffnet, das bringe ich leichten Muthes vor die Gemeinde, in der Furcht Deßen, der da kommet, und in der Gewisheit, daß gerade die praktischen Folgen der dargelegten und ergriffenen Hoffnung zukünftiger Zeiten den Gliedern Christi Segen und Heil verkünden. Dagegen scheint es mir allerdings viel schwerer, viel verantwortungsvoller, in die eigentlich paulinischen Texte von der Gemeinschaft des Christen mit seinem Haupte einzugehen, die inneren Wege des christlichen Lebens darzulegen. Die Gedanken eines Auslegers der heiligen Schrift sollen nichts anders sein, als menschliche Wiederholungen und Parallelen göttlicher Gedanken. Da finde ich es denn wahrlich recht schwer, St. Paulo parallel zu sein und für die Gemeinden recht verständlich und unmisverständlich von dem Geheimnis des Glaubens zu reden. Ich fühle aber solchen Texten gegenüber nicht bloß mich, sondern auch meine Gemeinde. Kann man sagen, das ist Milch, was z. B. in der heutigen Epistel zu finden ist? Und doch braucht ihr Milch, ihr alten Kinder. Ja so alt ihr seid, und so lange ihr in der Schule sitzet, so gleichen ja doch viele unter euch nicht einmal den Säuglingen, die an der Mutterbrust liegen, sondern den ganz neugebornen Kindern, die noch gar nichts genießen können, sondern im Gegentheil erst alles von sich geben müßen, was sie aus dem Mutterleibe der Welt mitgenommen haben. Es ist mir darum gar kein Wunder, euch bei der Erklärung solcher Texte schlafen zu sehen. Ach schlaft ihr bei dem euch begreiflichen Donnerwort des Gesetzes, und bei dem Vortrag der einfachen Katechismuswahrheiten, wie viel leichter bei diesem Geheimnis des inwendigen Lebens, welches die wachsten Sinne einer Seele erfordert, die darauf ausgeht, ihr eigenes inneres Wesen zu faßen. Indes, so sehr ich mich und euch fühle, und überdies die Hitze des Tages fürchte, die euch zur Trägheit der Seele einlädt, und zum trägen, stumpfen Niedersitzen vor den verschloßenen Pforten der göttlichen Geheimnisse, so versuche ich doch, euch darzulegen, was mein Text enthält. Der HErr verleihe mir Mund und Weisheit.

 Wenn wir den Hauptinhalt der heutigen Epistel zusammenfaßen wollen, so können wir das auf eine sehr einfache und gewis einem jeden Leser einleuchtende Weise thun, denn dieser Hauptinhalt besteht jedenfalls, wie bereits gesagt, in einer Belehrung über die Gemeinschaft der Christen mit Christo und zwar in einer Gemeinschaft Seines Todes und Seiner Auferstehung. – Die Gemeinschaft des Todes leuchtet aus Worten, wie die nächstfolgenden sind, unverkennbar in die Augen. „Wir sind mit ihm gepflanzet zu gleichem Tode,“ heißt es Vers 5,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 040. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/416&oldid=- (Version vom 1.8.2018)