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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

etwas völlig anderes, als unsere innere Freiheit von der Sünde und ihrem Zwang: aber wie das Weib eine völlig andere Person ist, als der Mann und doch mit ihm verbunden; wie der Leib nicht Geist ist, und doch mit ihm eines Lebens, so ist auch unsere innere Freiheit etwas anderes, als der Freispruch Gottes und doch mit ihm verbunden, ja ohne ihn so wenig vorhanden, wie das Kind ohne Vater und Mutter, so daß man zu den bereits angeführten Gleichnissen das Dritte setzen kann: wie das Kind eine andere Person ist, als Vater und Mutter und doch mit beiden verbunden, ja von ihnen stammend, nur durch sie im Leben, so ist die Ertödtung unseres Wesens für die Sünde, unsere Freiheit von den Sclavenketten der bösen Lust rein eine Frucht jener unaussprechlichen Wohlthat unserer Rechtfertigung bei Gott im Himmel. Wer kann hier wieder neben der Scheidung die innige Verbindung verkennen, welche zwischen der Wirkung unserer Gemeinschaft mit Christo im Himmel und der auf Erden sich findet!

 Verfolgen wir aber das große Bild weiter, welches der Apostel von Tod und Leben braucht, und gehen vom Tode zur Lebenshoffnung vorwärts. „Sind wir mit Christo gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit Ihm leben werden, die wir wohl wißen, daß Christus von den Todten auferweckt, nicht mehr stirbt, der Tod hat über Ihn keine Herrschaft mehr. Denn was Er gestorben ist, das ist Er der Sünde gestorben zu einem Male, was Er aber lebet, das lebet Er Gotte. Also auch ihr achtet euch selbst zwar als todt für die Sünde, als lebendig aber für Gott in Christo JEsu.“ Offenbar sind auch diese Worte wieder ganz im Sinne der Auferstehung und des Lebens JEsu Christi gesprochen. Er lebt, die Herrschaft des Todes über Ihn ist zu Ende, was Er nun lebt, lebt Er Gotte. Ebenso: wir leben in Christo, nachdem wir gestorben sind mit Ihm durch Sein Kreuz; nun herrscht in diesem elenden Jammerthal auf Erden über uns die Sünde so wenig, als über Christum der Tod, und ob wir gleich noch im Leibesleben sind auf Erden, so sind wir doch darin mit Ihm einig, daß wir keiner fremden Herrschaft mehr unterworfen sind, sondern daß wir Gotte allein leben und unser Leben ein Gottesdienst geworden ist. Ganz offenbar ist dieser Gedankengang des Apostels wiederum ein Beweis von der großen Wirkung unserer Gemeinschaft mit dem Tod JEsu auf unser inneres Leben. Nicht allein sind wir der Sünde getödtet, wir leben ein göttliches Leben in der Kraft und der Gemeinschaft des Antheils, den wir an Christi Tod und Leben haben. Und wenn in den zuletzt ins Auge gefaßten Stellen dies Leben auch mehr als eine Hoffnung erscheint, so schreitet doch in einem anderen Verse, den wir bis hieher aufbehalten haben, die Hoffnung bis zur völligen Gewisheit fort: „So sind wir nun begraben in den Tod, auf daß wie Christus aus den Todten auferstand durch die Herrlichkeit des Vaters, also auch wir in Erneuerung des Lebens wandeln.“ Da ist doch wahrlich nicht gemeint, daß wir in jener Welt ein neues Leben führen sollen; im Gegentheil will ja der Apostel durch Ausführung des ganzen Gedankens von der Gemeinschaft des Todes und Lebens JEsu keinen anderen Zweck erreichen, als die geliebte römische Gemeinde zu einem heiligen Leben auf Erden anzuleiten, so daß der Blick in jenes Leben zu weit vorwärts griffe und zu dem Beweise nicht diente, den der Apostel mit dem ganzen Bild und Gleichnis geben will. Daher sehen wir in unserer Stelle zwar in das Grab unseres alten Menschen, zugleich aber auch in das frische, selige und heilige Leben unseres neuen Menschen. Es wird uns auch diese Stelle jedenfalls dazu dienen, uns die rechten sittlichen Folgen unserer Gemeinschaft mit dem Tode und der Auferstehung JEsu zu zeigen. So wie allein der Glaube die Folgen dieser Gemeinschaft im Himmel faßt, so ist er auch allein der Werkmeister, der die Folgen für unser irdisches Erdenleben und unsere Heiligung zieht; Eine und dieselbe Kraft nimmt die himmlische Gnade in Empfang; Eine und dieselbe Kraft bringt die seligen Früchte unserer Heiligung; – allein der Glaube faßt die Frucht unserer Gemeinschaft, die uns im Himmel blüht, und bringt sie zum großen Frieden der Seele heim; allein der Glaube ist die Macht Gottes auf Erden, welche die Früchte unsers neuen Lebens zur Reife bringt.

 Ist es nun unläugbar, daß die Gemeinschaft, in der wir mit Christi Tod und Leben stehen, doppelte selige Folgen im Gerichte Gottes und hier auf Erden hat, so muß uns am Ende alles daran gelegen

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 043. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/419&oldid=- (Version vom 1.8.2018)