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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

geschehen seien, nicht als zufällig, sondern als Ziel und Angelpunkte aller Führungen Gottes mit Seiner Menschenwelt. Dieselben Heilsthaten heißen Evangelium, weil sie den Inhalt des Evangeliums bilden. Sie werden von Paulo mit den Worten eingeleitet: „Ich thue euch kund, lieben Brüder, das Evangelium, welches ich euch verkündigt habe“. Das sind seine einleitenden Worte zu diesem Text und zu dem ganzen herrlichen Abschnitte, den er beginnt. Diese Heilsthaten Gottes aber sind auch nach dem Evangelium des heutigen Tages mit dem Worte Gnade zu schmücken, weil in ihnen die Gnade erschienen ist, wonach den Zöllner und alle heilsbegierigen armen Sünder hungert. Wer Heil sucht, darf es nicht beim Sinai, nicht bei den Heiden von Athen, von Rom, von Aegypten, von Indien suchen, sondern bei Christi Kreuz und Grab. Außer dem Kreuze und Grabe, dem Tode und der Auferstehung Christi, außer den Heilsthaten Gottes gibts kein Heil. Es gibt sonst keine Heilsthaten, als diese. Die sind der Mittelpunkt und um sie her sammeln sich die andern. Wer die nicht will, dem entgehen alle. Alles Evangelium und alle Gnade ist hier – im Tode, in der Auferstehung JEsu Christi.

 Wie bereits oben gesagt, enthält unser Text nicht bloß die Erinnerung an die Heilsthaten Gottes, sondern auch eine Aufzählung alles deßen, was zur Aneignung des Heils nöthig ist. Die Aufzählung findet sich in den zwei ersten Versen desselben. Diese lauten also: „Ich thue euch kund, meine Brüder, das Evangelium, welches ich euch gepredigt habe, welches ihr auch angenommen habet, in welchem ihr auch stehet, durch welches ihr auch selig werdet, in welcher Weise ich es euch gepredigt habe, wenn ihr es festhaltet, es müßte denn sein, daß ihr es vergeblich geglaubt habt.“ Aus dieser Aufzählung erkennt man, daß es bei der Aneignung des Heils auf Geben und Nehmen ankommt, auf Geben durch Gott und Menschen, und auf das Nehmen von unserer Seite. – Es wäre nun wohl möglich, daß ihr in den angeführten Versen von einem göttlichen Geben nichts fändet, sondern nur von einem menschlichen. Das menschliche Geben oder Darreichen des Heils erkennt man schnell in den Worten: „Ich thue euch das Evangelium kund, welches ich euch gepredigt habe.“ Indem der Apostel predigt, gibt und theilt er mit alle Gnadenschätze, welche durch den Tod und die Auferstehung Christi herbeigeschafft und gewonnen sind. Das göttliche Wort beschreibt ja die Schätze des Hauses Gottes nicht bloß, sondern es trägt sie in sich, bietet sie dar und gibt sie. Ohne dies Geben durch Prediger, gleichviel, ob sie mündlich oder auch schriftlich predigen, geschieht keine Mittheilung des Heils. Allein diese Mittheilung und Darreichung setzt eben das göttliche Geben voraus. Wenn St. Paulus sagt „ich habe euch gepredigt“ oder Vers 3: „ich habe euch mitgetheilt“; so muß er zuvor selbst empfangen haben, und seinem menschlichen Geben und Weiterbefördern der Heilsgüter an andere geht nothwendig vorher, daß ihm selbst erst Herz und Hand gefüllt wurde. Wie könnte er Göttliches, wie könnte er Heil, wie könnte er die Kraft der Heilsthaten Gottes, des Todes und der Auferstehung JEsu geben, wenn sie ihm nicht durch Gott geworden wäre? Und wenn alles in der Predigt liegt, wie könnte er predigen, wenn ihm nicht selbst gepredigt worden wäre? Daher sagt er aber auch, wenn schon nicht Vers 1 und 2, so doch Vers 3: „Ich habe euch gegeben, was ich auch empfangen habe.“ Diese Worte stempeln seine Rede zu einer göttlichen Mitteilung und erwecken Vertrauen gegen dieselbe, – geben auch der ganzen Kirche die Ueberzeugung, daß sie aus Gottes Munde empfängt, was der Offenbarung gemäß und zu Folge den apostolischen Schriften von den Predigern dieser Tage mitgetheilt wird. Gott ist in der Gemeinde, wo Seine Diener reden. ER theilt Gaben aus. Wer die Diener hört, hört Ihn, – und wer sie verachtet, verachtet auch Ihn. Das diene jedem verständigen Christen zur Warnung; wer aber in Eitelkeit und Uebermuth der Jugend oder des Temperaments sich drüber wegsetzt und wie die Schafe in den lautern Brunn, so mit seinen Füßen in die schönen Börne des Evangeliums tritt, der hat es mit Dem zu thun, der da spricht: „Wer euch verachtet, der verachtet Mich“, und abermals: „Irret euch nicht, der HErr läßt sich nicht spotten“, und wiederum: „die Rache ist Mein, Ich will vergelten, spricht der HErr.“

 Das menschliche Nehmen des Heils, d. i. das Annehmen und Aneignen des Worts und seiner

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 076. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/452&oldid=- (Version vom 1.8.2018)