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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

nicht glaubte, – mag es in ihm gewogt und gegährt haben, wie es will, er sah Ihn mit ungeweihtem Auge, damit sein Zeugnis für das ungeweihte Volk der Erde desto größere Kraft äußern, desto mehr Wirksamkeit haben möchte. Durch diese Erwähnung seiner Erscheinung wird St. Paulus veranlaßt, einen Blick über sein Leben vorher und nach der Wiedergeburt zu werfen, und was er da sagt, tritt in den wundersamsten, schönsten Gegensatz zu dem Evangelium vom Pharisäer und Zöllner.

 Der heilige Paulus ist nach unserm Texte zugleich dem Zöllner und dem Pharisäer scheinbar ähnlich, und ist doch wieder auch keinem von beiden zu vergleichen, wenn man ihn genau betrachtet. Wenn er sagt: „Ich bin der Geringste unter den Aposteln, der ich auch nicht werth bin, ein Apostel zu heißen, darum, daß ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe“; so klingt das zwar immer noch so, daß man doch hört, St. Paulus ist und bleibt ein hoher Apostel Christi. Aber er bekennt doch große und schwere Sünden, und zwar specieller als der Zöllner; er schlägt doch auch geistlich an seine Brust und legt die Würdigkeit seines gesammten früheren Lebens schon um der einen Sünde willen, daß er die Gemeinde Gottes verfolgt hat, in Unwerth und in Staub. St. Paulus erscheint damit neben dem Zöllner, noch ehe wir aus seinem Munde vernommen haben, wie er die göttliche Gnade preist, auf welche sich ja auch der Zöllner beruft. Die Aehnlichkeit Pauli mit dem Zöllner leuchtet ein. Aber klingts nicht auch wieder wie pharisäerartig, wenn er sich mit den andern heiligen Aposteln, also nicht wie der Pharisäer im Evangelium mit Dieben, Räubern, Ehebrechern und Zöllnern vergleicht und dann als Resultat seiner Vergleichung herausbringt, daß er „mehr gearbeitet habe und mehr geduldet habe, als sie alle“ (denn Arbeit und Dulden liegt ja in dem griechischen Ausdruck eingeschloßen), daß er also die größten, erhabensten, gesegnetsten Menschen an Frucht und Segen und guten Werken übertreffe? Das schreibt er so hinaus in die Gemeinden, an das geschwätzige Volk der Corinther, von wo aus es schon auskommen und den Zwölfen selbst zu Ohren kommen wird, was der Heidenapostel im Vergleich mit ihnen von sich selbst urtheilt! Wahrlich, St. Paulus sagt von sich mehr, als der Pharisäer von sich, und sein Selbstruhm übertrifft fast den Selbstruhm aller Menschen. Auch ist bekanntlich diese Stelle des Ruhmes Pauli nicht die einzige. Im zweiten Briefe an die Corinther, im 11. Kapitel, kann man finden, wie er nach einiger Zeit, also nach Besinnen – und ohne Reue Aehnliches von sich sagt.

 Und doch ist St. Paulus kein Pharisäer mehr, auch nicht mit dem Pharisäer zu vergleichen. Die Aehnlichkeit mit dem Zöllner bleibt ihm, wenn schon der Zöllner ihm nicht ähnlich ist, weil wir von dessen Arbeit und Dulden im Reiche Gottes nichts wißen; aber die Aehnlichkeit mit dem Pharisäer, so unmöglich es einen Augenblick scheinen könnte, fällt doch ganz und gar, ja ganz und gar dahin, und zwar durch ein einziges Wörtchen, nemlich durch das Wörtchen, welches Zöllner und Apostel, arme Sünder und geheiligte Jünger Christi, in gleichem Maße preisen, durch das Wörtchen „Gnade“. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich geblieben.“ Der Pharisäer prangt mit fahlem Gesichte des Fastens und mit den reichen Zehentwagen, die er, selbst enthaltsam, bringt, doch nur in eigener, welkender Gerechtigkeit. Der Zöllner sehnt sich, arm und leer von eigener Gerechtigkeit aber auch von Gottes Huld, nach Gnade, nach der Gnade der Vergebung. Der Apostel aber kommt mit dem Dankopfer eines großen reichen Lebens und Leidens ohne Gleichen, aber – es ist nicht das Bekenntnis des Hochmuths, was von ihm kommt, sondern gerechtes, tiefgefühltes Bekenntnis eines dankbaren Herzens. Nicht gebläht, sondern gebeugt von Gnade, – nicht hoffährtig und voll Stolzes, sondern mit demüthigen Thränen der Buße, im Andenken unvergeßlicher Sünden vergleicht er sich mit den größten Menschen und gibt Gott die Ehre, der ihn, den größten Sünder, aus Gnaden zum größten Heiligen gemacht hat, auf daß nicht bloß die Predigt Pauli, sondern auch Leben und Wirken Pauli allen Juden und Heiden den Heilsweg empfehle, auf dem man von solchem Falle zu solcher Höhe des Lebens, des Wirkens, der Heiligung kommen kann.

 Sieh da das rechte Verhältnis der Werke zum Heil und Heilswege! Werke muß ein Christ haben, bekommt sie auch, weiß, sieht und rühmt sie, aber die Werke sind durch Gnade möglich worden, die

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 080. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/456&oldid=- (Version vom 1.8.2018)