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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Apostel und übrigen Diener des Wortes dachte, ist wohl ohne Beweis klar, zumal er ja von einem bleibenden unvergänglichen Glanz des neutestamentlichen Amtes redet. Wenn aber nicht von der strahlenden Klarheit der Angesichter die Rede ist, so kann doch nur theils von der Ehre die Rede sein, welche Gott dem neutestamentlichen Amte nicht minder, als dem des Alten Testamentes gibt, theils aber von der Ehre, die das heilige Amt in der neutestamentlichen Kirche finden soll. Vergleicht nun der Apostel das alt- und neutestamentliche Amt miteinander nach der Ehre, so legt er bei seiner Vergleichung eine andere Vergleichung zu Grunde, nemlich die der Gabe und Wirkung beider Aemter. Je größer Gabe und Wirkung, desto größer die Ehre. Diese erstere, zu Grunde liegende Vergleichung haben wir bereits Gelegenheit gehabt, kennen zu lernen. Wer kann nun nach der Darlegung des Apostels zweifeln, daß das neutestamentliche Amt weit größere Gaben, weit mächtigere, und namentlich seligere, heilendere, heiligendere Wirkung hat, als das Amt des Alten Testamentes? Ist das Amt des Alten Testamentes etwas anderes gewesen in der Wirklichkeit, bei der Beschaffenheit Israels und aller Menschenkinder, als ein Mittel, den Tod und die Verdammniswürdigkeit der Menschen recht unwidersprechlich ins Licht zu stellen und recht öffentlich, als vom Sinai herunter, auszusprechen? Allerdings eine große Glorie Mosis und aller Propheten nach ihm und aller echten Schriftgelehrten; aber eine Glorie, die, wie sie, vergangen ist, – denn wo ist das Amt des Alten Testamentes, – auch nicht mit der zu vergleichen ist, welche dem Amte des Geistes, des Lebens, der Gerechtigkeit zugeschrieben werden muß und von Paulo auch zugeschrieben wird. Sieh hin auf die Millionen seit achtzehnhundert Jahren, welche mit aufgehobenen Händen, im Leben und Sterben das neutestamentliche Amt gesegnet haben, wie nur immer der unter die Mörder Gefallene den guten Samariter mit seinem Wein und Oele segnen konnte! Kannst du den Segen, aber auch das Vertrauen und die Anerkennung überschauen, welche das heilige Amt gerade bei denen gefunden hat, die sein am meisten genoßen und dann am wenigsten bedurft haben? Wenn dermaleins alle gerechtfertigten und geheiligten Christen vor dem Erlöser stehen und Ihm ewigen Dank bringen, wird es dann außer dem Wort und Sacrament, wodurch sie gerechtfertigt und geheiligt wurden, etwas auf Erden gegeben haben, was sie in jenen Stunden und der nachfolgenden Ewigkeit mehr ehren werden, als das Amt des Neuen Testamentes, durch welches aller Welt Wort und Sacrament zu Theil geworden ist? Ich glaube es nicht. Schon Daniel versetzt die Glorie der Angesichter der Lehrer in die Ewigkeit, wenn er sagt: „Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit wiesen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ Dann wird leiblich sichtbar werden, was hier zwar oft unsichtbar ist, aber dennoch nicht entschwindet; denn die Ehre des neutestamentlichen Amtes ist nicht bloß zukünftig, sondern von den Zeiten Pauli an bleibend, also schon vorhanden. Seitdem das Amt Neuen Testamentes da ist, ist seine Ehre im Himmel und bei allen Heiligen auf Erden da – und wird ewig bleiben – und zwar so groß und herrlich, daß Mosis glänzendes Angesicht, ebensosehr dagegen verschwindet, als die alttestamentliche Gabe vor der des Neuen Testamentes. Gewis muß daher auch alles, was Christ heißt, mit Paulo stimmen, wenn er sagt: „Wenn das Amt des Todes, das in die Steine gegraben war, in Klarheit war, so daß die Kinder Israels in das Angesicht Mosis nicht schauen konnten, wegen der Klarheit seines Angesichts, die doch vergieng: wie soll und wird da nicht vielmehr das Amt des Geistes in Klarheit sein? Denn wenn das Amt der Verdammnis Klarheit ist, so fließet und strömet viel mehr das Amt der Gerechtigkeit in Klarheit über. Denn was verklärt ist, ist in diesem Stücke nicht einmal verklärt (zu nennen), wegen der Klarheit (des neutestamentlichen Amtes), von der es übertroffen wird. Denn wenn das, was aufhört (das Amt des Alten Testamentes) durch Klarheit gieng, so wird das, was bleibet (das neutestamentliche Amt) in Klarheit stehen.“


 Nachdem Euch nun der Ruhm des neutestamentlichen Amtes, von St. Paulo mehr als von mir, vor die Augen gemalt ist, so frage ich euch, die ihr hier versammelt sind, ob bei euch das Amt in Klarheit, in Herrlichkeit, in Ehren ist? Ich erinnere euch, daß wir im neunzehnten Jahrhundert der Kirche leben, in welchem sich, wie es scheint, mit Macht der Abfall nicht bloß vorbereitet, sondern ereignet, der vor dem Auftreten des Antichrists eintreten soll. In

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 086. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/462&oldid=- (Version vom 1.8.2018)