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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

macht uns nicht zu andern Leuten, zeigt und ruft uns zu guten Werken, welche wir nicht vermögen zu vollbringen, enthüllt uns eben damit unsre Unfähigkeit und unsern Tod, aber auch unsre Schuld, unsre Bosheit, und das Gericht, welches auf uns wartet. Je mehr man das Amt des Alten Testamentes oder des Gesetzes treibt, je mächtiger man sein waltet, desto trauriger wird die Seele, die unter seinen Einflüßen steht. Das Gefühl des göttlichen Zornes und der Verdammnis legt sich über das arme Herz. Wer hilft da? Da hilft das Amt des Neuen Testamentes – und wodurch? Durch die Mittel, die Heils- und Gnadenmittel, die ihm verliehen sind durch Wort und Sacrament des Neuen Testamentes, durch Evangelium, Taufe und Abendmahl. Nicht der Mann, welcher das Amt hat, kann den heiligen Geist geben aus sich und seiner Fülle heraus, aber das Wort des Friedens, welches er predigt, das Wort von Christi Leiden und Sterben, von Seinem Opfer und Verdienste, das ist es, womit sich der heilige Geist verbindet, wodurch ER Seine Lebenskräfte über die todten Seelen strömt, – und die Taufe ist es, welche der Amtsträger verwaltet, der äußern Handlung nach, welche aber durch den Geist zur Wiedergeburt wird, – und das Abendmahl ist es, welches das neue Leben nährt, stärkt und heranzieht, – und Wort und Sacrament sind es, durch welche der heilige Geist den Sünder von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Kraft zu Kraft, von einer Stufe der Heiligung zu der andern fördert. Ich weiß es, daß viele unter euch diese Früchte vom Wort und Sacrament und Amt nicht gepflückt haben und deshalb das Amt verachten. Aber der Apostel im Texte redet nun einmal vom Amte in dem hohen Tone, – und ihm nach redet die Kirche aller Zeiten, ihm nach zeugen die Seligen des Himmels, die Kinder Gottes auf Erden, – die Erfahrenen reden so und widersprechen dem Wiederspruch der Welt, die weder Geist, noch Leben, noch Gerechtigkeit hat; sie stehen dabei fest, sie leben und betheuern, daß das Amt durch die ihm übertragenen reichen Gnadenmittel der fruchtbare Baum ist, von dem Geist, Leben und heilige Gerechtigkeit des innern und äußern Lebens kommt. Sie reden aus Erfahrung, weisen die Unerfahrenen auf Erfahrung und heben hoch und mächtig in der Welt den Ruhm des heiligen Amtes, – eines Amtes, von dem sie wißen, daß es bleiben wird bis ans Ende, dienen und segnen, bis der HErr kommt, – und daß es dem HErrn Seine Braut bereitet für die ewige Hochzeit und Ihm dieselbe zuführt, wenn Er kommen wird.


 Bei solchen Ursachen des Ruhmes ist es dann auch kein Wunder, wenn der Apostel, welcher selbst das Amt trägt, gegenüber seinen judenchristlichen Feinden mit Lust bei der Vergleichung des Alten und Neuen Testamentes verweilt und am Schluß des Textes die Herrlichkeit des Neuen Testamentes siegreich aus dieser Vergleichung hervorbringt und deßen Fahne hoch erhebt.

 Zu faßen, was St. Paulus sagt, muß man vor allen Dingen sich über das Wort Klarheit verständigen. Erinnert euch an jene herrliche Geschichte aus dem Leben Mosis, in welcher erzählt wird, daß er aus dem Umgang mit Gott, in welchen er wunderbarer Weise eingetreten war, ein leuchtendes Angesicht mitgebracht habe; die Gemeinde habe in sein Angesicht erst dann sehen können, als er den Glanz durch eine Decke gemindert und für ihre Augen gelindert hatte. Der leuchtende Glanz seines Angesichtes, von welchem die Sitte der Maler, heilige, gottverlobte Menschen mit einem „sogenannten Heiligenschein“ zu malen, den Ursprung nahm und an welchem sie außer dem leuchtenden Angesicht JEsu auf dem Berge der Verklärung das herrlichste Beispiel hat, – dieser Glanz ist die Herrlichkeit oder Klarheit im Angesichte Mosis, von welcher im Texte die Rede ist. Dieser irdische und zwar vergängliche Glanz des Angesichts Mosis (denn er hörte ja auf, wie aus der alttestamentlichen Geschichte leicht zu schließen, aus St. Pauli Worten aber klar zu sehen ist,) gedieh nun dem Amte Mosis zu hoher Ehre. Er war ihm ja zu Theil geworden, als er mit dem HErrn umgieng, um Seine heiligen Befehle für Regelung aller kirchlichen und staatlichen Verhältnisse Israels in Empfang zu nehmen; das Prophetenamt Mosis und sein Dienst an der Instandsetzung und Einführung der zehen Gebote war dadurch beglaubigt und geehrt. Er wurde in der Ansicht Israels zu einer Klarheit des Amtes. – Daß nun der heilige Paulus bei seiner Vergleichung des neutestamentlichen Amtes mit dem Amte des Alten Testamentes nicht an leuchtende Angesichter der

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 085. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/461&oldid=- (Version vom 1.8.2018)