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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Geistes in Bezug auf die zeitlichen Güter und deren Verwendung zeigt. Der Mensch liebt sich selbst, an sich selbst voran die eigene Ehre und die Meinung, welche er von sich hat. Neben sich liebt er sein zeitliches Gut, und zwar wie oft über alles, selbst über Weib und Kind, über Seelenheil und Gewißensfrieden. Wenn daher das Walten des heiligen Geistes im Herzen des Christen vor allem Demuth und in der Demuth Sanftmuth wirkt, so muß es auch alsbald Freiheit von den Banden des zeitlichen Besitzes wirken und den Menschen geneigt machen, mit dem Seinen so umzugehen, daß es Christo gefalle, der ein HErr ist aller Güter. Würde ein Mensch frei von eitlem Ehrgeiz werden und Sanftmuth lernen, nebenher aber dem zeitlichen Gute und dem Geldgeiz fröhnen, so würde er doch nur in den schimpflicheren Feßeln hängen bleiben, und der Geldgeiz, diese Wurzel aller Uebel würde am Ende auch nur wieder der Sanftmuth Tod und des herrschenden Hochmuths Auferstehung werden. Es ist viel Widersprechendes im Herzen und Leben des Menschen, aber wenn der Geldgeiz und die Habsucht irdischer Güter irgendwo ihren Thron aufschlagen, da muß Gottes großes Wunder geschehen, wenn irgend ein geistliches Leben soll bleiben können. Darum ist es auch dem heiligen Paulus so großer Ernst, die Galater und in ihnen alle Christen so anzuleiten, daß der Zweck des heiligen Geistes und das Ziel des geistlichen Lebens erreicht werden könne.

 In seiner Rede findet sich, wie mir scheint, ein Stufengang. Zuerst werden uns die Personen zu nennen sein, auf welche sich die christliche Verwendung des zeitlichen Gutes zu erstrecken hat. Dann trägt der Apostel die Verheißung und Drohung vor, welche auf dem Gehorsam der Christen rücksichtlich des zeitlichen Gutes ruht. Endlich aber bekommt die Drohung einen mächtigen Nachdruck durch ein Wort Pauli, welches ich, weil es das stärkste zu sein scheint, euch und euren durch viele Predigt hart und taub gewordenen Ohren, behältlich ans Ende dieses Vortrags stellen möchte.

 Was zuerst die Personen betrifft, auf welche sich die Verwendung des zeitlichen Gutes zu erstrecken hat, so werden genannt die Lehrer des göttlichen Wortes, die Glaubensgenoßen und zuletzt alle Menschen. Die eigenen Angehörigen eines jeden werden nicht genannt. Daß diese versorgt werden, wird vorausgesetzt; wer seine Hausgenoßen, seine Familie sammt seinen Dienern und Sclaven nicht versorgt, ist ärger denn ein Heide. Und wer Eltern und Ahnen hat, der muß ihnen nach des Apostels Befehl Gleiches vergelten. Viele aber können das tägliche Bedürfnis bestreiten und behalten übrig. Da fragt sich dann, was mit dem Uebrigen anzufangen ist. Von zurücklegen und zusammenhäufen weiß die Schrift nichts; es ist nichts sicheres im irdischen Besitz, er ist eitel und muß, wenn er nicht unnütz bleiben und werden soll, gewisser Maßen immer in Fluß und in Bewegung sein. Was also thut ein Mann mit dem, was er für sich und die Seinigen zum täglichen Leben nicht bedarf? Er wendet es an, die Lehrer zu unterstützen; – bleibt ihm ferner übrig, so bedenkt er die Glaubensgenoßen, – und endlich sucht er die Gegenstände seiner Wohlthaten auch außerhalb der Kirche. Es ist nicht nöthig, den Lehrern, den Glaubensgenossen, den Nächsten allen zu geben, wenn sie nichts bedürfen. Es handelt sich nicht davon, daß die Gemeinden sich auf das Geben, die Lehrer auf das Nehmen verlegen, – reiche Glaubensgenoßen oder gar andere, z. B. reiche Juden oder Heiden noch reicher gemacht werden sollen. Den Lehrern, die arm sind, den Glaubensgenoßen und andern Nächsten, welche dürftig sind, streckt sich die gebende Hand entgegen. Die Lehrer lebten in den ersten Zeiten von den Gaben der Gemeinde, welche auf die Altäre Christi niedergelegt wurden, und man sagt, daß sie nie weniger Mangel gelitten hätten, als in jener Zeit, wo es weder Stiftungen noch Dotationen und Stolgebühren gab; die Lehrer schämten sich nicht zu nehmen, die Gemeinden freuten sich zu geben, – jene nahmen, diese gaben mit Dank und Demuth, – keiner von beiden Theilen sammelte und speicherte auf, – alle lebten durch Christi Gnade von Tag zu Tag dem ewigen Leben entgegen. – Eben so war es mit den Glaubensgenoßen. Der Schöpfer hat Arme und Reiche gemacht, seitdem die Menschheit in ihrem Falle lebt; aber der Erlöser und Sein Geist heben die Unterschiede auf, welche in der Schöpfung liegen. Die mit einander zu Einem Altare und zu Einem ewigen Vaterhause wandern, können es auch nicht dulden, hier so verschieden zu sein. Die Armuth wird durch brüderliche Liebe aufgehoben.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/481&oldid=- (Version vom 1.8.2018)