Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/493

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wenn es auch nicht gelingen will, bei ihr bloß an den Buchglauben oder das Glaubensbekenntnis zu denken. Der Inhalt unseres Glaubens ist Einer, er sagt uns und allen denen, vor welchen wir bekennen, was Gott von unserem Einen HErrn JEsu Christo, von Seinem Verhältnis zur Gottheit und Menschheit, von Seiner Person, von Seinen Werken und Leiden geoffenbart hat; in der gläubigen und bekennenden Annahme dieser Offenbarungen des HErrn findet sich eine weit größere Einigkeit unter den verschiedenen Parteien der Christen als es scheint; weit aus in den größten und bedeutendsten Punkten stimmen die Kirchen des Morgen- und Abendlandes zusammen, und wenn es auch an Zwistigkeit nicht fehlt, so sollte doch niemals vergeßen werden, wie viel Grund zur Einheit in dem annoch vorhandenen Gemeinsamen des Glaubens an JEsum Christum liegt, und wie die vorhandene Einigkeit alle bezwingen könnte, daß sie sich dem göttlichen Zeugnis glaubend auch in den Differenzpunkten unterordneten. Das sage ich von dem Satze aus, daß in unserem Texte unter dem Worte „Glauben“ zunächst der Glaube an unsern HErrn und Heiland verstanden sei; dieser Satz aber hat seinen Grund darin, weil Glaube und HErr verbunden erscheinen, und daher bei der Reihenfolge der Einigungsgründe der Glaube als Glaube an den HErrn scheint gefaßt werden zu müßen. Es versteht sich von selbst, daß im Allgemeinen, und wenn wir von dem ganzen Inhalt unserer jetzigen Glaubensbekenntnisse reden, das Wort „Glaube“ mehr begreift. Dennoch aber wird man die hohen Artikel von Christo dem HErrn, Seinem Verhältnis zu Vater und Geist, Seiner Person, Seinen Naturen, Seinen Ständen und Seinem allerheiligsten Verdienste die hohen Hauptartikel alles Glaubens nennen dürfen, an welche sich alle andern anreihen. Die Erwägung dieser hohen Artikel ist es nun, welche theils den Beruf der Kirche zu einem großen Ganzen mächtig unterstützt, theils aber auch fordert. Sei der Glaube Buchglaube oder Herzensglaube, er ist und bleibt dennoch die höchste Einigung der Herzen, die sich vor Christo JEsu anbetend neigen, und vereinigt die Eine Herde des Einen guten Hirten. Wie nun der Glaube mit dem HErrn als seinem Gegenstand verbunden ist, so sehen wir im Texte mit demselben HErrn die Taufe verbunden als das große Werkzeug, durch welches der Eine HErr den Einen Glauben schafft. Die Taufe ist zugleich eine göttliche und menschliche Handlung. Gott thut alles Wunder bei derselben, der Täufer aber reicht Ihm zu allem Seinem Thun die arme, menschliche Hand, welche der HErr zur Mitarbeitung nicht verschmäht. Die Kirche reicht bei der Taufe das Waßer aus dem großen Vorrath der Schöpfung Gottes, Gott aber füllt es mit Seinen ewigen Kräften. Wenn der menschliche Täufer menschlich handelt, so handelt der göttliche nach dem Maße oder vielmehr nach der Unermeßlichkeit Seiner Macht. Tauft die Kirche auf den Namen JEsu, so bekennt sie sich zu JEsu; tauft der HErr Selbst auf Seinen allerheiligsten Namen, so bekennt Er Sich zum Täufling und zu Seiner taufenden Kirche, und wenn der Eine HErr und der Eine Glaube nicht in die Sinne fallen, so fällt desto mehr die Eine Taufe ins Auge, und wie arm oder reich ein Menschenkind an Erkenntnis sei, immerhin kann es doch an der Taufe erkennen, daß hier die Kirche Gottes sei, und der Eine Leib aller, die in Christi Banden gehen, kann durch nichts unwiderleglicher dargethan werden, als eben durch die Taufe, von welcher ja auch geschrieben steht, daß wir durch sie zu Einem Leibe getauft werden. So wahr es ist, daß unter den Getauften viele Unterschiede stattfinden, so wahr und anerkannt ist es doch auch in allen Kirchen, daß in der Taufe ein mächtiger Ruf zur Einigung, ja eine mächtige Einigung selber liegt: es entsteht durch sie eine unaustilgbare Verwandtschaft und Gemeinschaft aller Christen, und wie der Name des Einen HErrn und das Bekenntnis Seiner Größe, so ist auch die Taufe in der ganzen Welt ein unleugbares Kennzeichen aller Christen und ein redender Beweis, wie sehr sie zur Einigkeit berufen sind.

.

 Wenn das erste Drei, das sich in unserem Texte an die dritte Person der Gottheit anschließt, nach dem Urtheile des einen oder des andern mehr von unsinnlichen und der Sichtbarkeit entnommenen Dingen reden sollte, so wird man doch dem zweiten Drei, welches sich an die zweite Person, JEsus Christus anschließt, nicht alle auch für diese Welt redende und zeugende Kraft absprechen können. Das dritte Drei, an den ewigen Gott und Vater aller Dinge angeschloßen, zeigt ebenso kräftig die Zusammengehörigkeit aller Christen, als irgend die beiden vorausgegangenen, wenn auch niemand leugnen kann, daß Ausdrücke wie

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/493&oldid=- (Version vom 1.8.2018)