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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der eigene Mund des Apostels lehrt. So hatte also der Apostel für sein Vertrauen auf die glückliche Vollendung des guten Werkes in seinen Jüngern nicht bloß die starken Gründe der schon länger bewiesenen Treue der Philipper und Gottes selbst, sondern sein Herz hatte zur Hoffnung den Liebesgrund, einen Grund, welcher den Menschen sogar dann lustig und muthig macht zu hoffen, wenn nichts zu hoffen ist, geschweige dann, wenn sonst schon Grund genug zur Hoffnung vorhanden ist. All diesen Liebesgrund spricht er in den schönen Worten aus: „Es ist mir ja billig, daß ich dermaßen von euch allen halte, darum daß ich euch in meinem Herzen habe in diesem meinem Gefängnisse, darinnen ich das Evangelium verantworte und bekräftige, als die ihr alle mit mir der Gnade theilhaftig seid.

 Es ist, meine lieben Brüder, eine eigene Sache mit der Zuversicht und Hoffnung, welche man im Betreff des Heiles Anderer hat. Mag auch die Liebe den Menschen zur Hoffnung treiben, und die Zuversicht auf Gott da sein, daß er vollenden werde, wie er angefangen hat; so wißen wir doch, daß dem Menschen sein eigenes Heil in die Hände gelegt ist, wenn auch nicht also, daß er es gewinnen könnte, so doch also, daß er es durch seine Schuld aufhalten und verlieren kann. Da ist man denn oft der Liebe gewis, eben so gewis auch der göttlichen Gnade. Dagegen aber hat man keine Zuversicht rücksichtlich des Menschen selbst, für den man Hoffnung faßen will. Es sind nicht alle Leute Philipper, nicht alle leben und bleiben in der Gemeinschaft des Evangeliums, nicht alle können Mitgenoßen der Gnade genannt werden; dagegen aber baut der leichtsinnige Wandel vieler und ihre sichere faule Trägheit Hindernisse für die hoffende Liebe auf, die wahrlich schwer genug sind, wenn es gilt, sie zu überflügeln oder doch zu übersteigen. Gott der HErr schafft alles Gute, er will, daß allen Menschen geholfen werde, und daß sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, sein Geist schafft alle Möglichkeit; aber der Mensch, der Mensch, sein Widerstreben, sein Unwille, seine Untreue! O wie Bleigewichte hängt sich an die Flügel der Hoffnung die Sünde des Menschen an und sie, die durch vereinte Bemühung aller überwunden werden sollte, wird im Gegentheile eine Macht, welche sich der guten Hoffnung der Ueberwindung entgegen stemmt. Alles geht vorwärts, nichts mislingt, wenn der Mensch nicht Hindernis wird. Bei der Eintracht aller heiligen Wesen in Zeit und Ewigkeit uns zu retten und hindurch zu bringen, gibt es gar kein Unglück, als das eine, welches wir selbst stiften, und welches daher um so mehr uns selbst zur Last und Verantwortung fällt. Darum prüfe ein jeder sich selbst, ob er nicht aller Hoffnung seines ewigen Heiles selbsteigener Mörder sei, ob er nicht schuld ist, daß denen, welche ihn lieben, die selige Freude der Hoffnung verderbt und getödtet wird.

 Bis hieher, lieben Brüder, wurden unsere Gedanken von denen des Apostels im zweiten Theile unseres Textes regiert. Nun aber gehen wir zum dritten Theile, zu der herrlichen Aeußerung des Liebesverlangens St. Pauli nach den Philippern und ihrer Vollendung über: „Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Christo JEsu.“ Ein Schwur St. Pauli, zu dem ihn kein Mensch aufgefordert, zu welchem ihn aber die Liebe gedrungen hat, welche zu allem berechtigt, auch zum Schwur. Ein unnöthiger Schwur, ein völlig freiwilliger, der auch mit dem puren Ja das Ja ist, vertauscht und durch dasselbige verhindert werden konnte, welchen aber dennoch kein Mensch aus dem neuen Testamente hinwegwünschen wird, der auch kein Widerspruch ist des edlen einfachen Ja, welches Ja ist, mit nichten verboten, sondern im Gegentheil ein heiliges edles Werk, ein Ueberfluß göttlicher Liebe, unnachahmbar für andere, welche sich ein Maß der Liebe, welche zu Solchem befähigt, nicht zuschreiben können. Der Apostel sagt, es verlange ihn nach den Philippern, und Martin Luther übersetzt den Beisatz, durch welchen dieses Verlangen genauer charakterisirt wird, mit den Worten: „Vom Herzensgrund in Christo JEsu.“ In dem Urtext ist aber die Bezeichnung der Liebe und des Verlangens Pauli noch eine viel stärkere; da heißt es geradezu: „Mich verlangt nach euch in den Eingeweiden JEsu Christi,“ oder wie wir etwa sagen würden: in dem Herzen JEsu. Gewis ein Ausdruck, der für uns nicht so geradehin verständlich und eben deshalb der Deutung fähig und bedürftig ist. Wie man ihn aber auch deute, immerhin wird er eine außerordentliche, der Liebe Christi selbst ähnliche Liebe bedeuten und eine Inbrunst,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/526&oldid=- (Version vom 1.8.2018)