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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sind deshalb in keiner Weise beeinträchtigt. Sie gehen vor den Lebenden ins ewige Leben des Leibes ein und werden zugleich mit ihnen heimgeholt zu Dem, der Sieger bleibt am Ende, der Seiner Feinde Ueberwinder und Seiner Gläubigen ewiger Bräutigam ist und die Freuden der Ewigkeit ihnen offenbaren wird, wenn Er die Welt und ihre Kinder mit den Schaalen Seines Zornes übergießen wird.

 Auch bei Darlegung des zweiten Theiles des Todestrostes Pauli kann derjenige, welcher darzulegen hat, in die Verlegenheit kommen, sich in der Auffaßung der apostolischen Worte für eine zweite Zukunft Christi zur Vertilgung des Antichristus und für eine dritte zum allgemeinen Weltgerichte entscheiden zu sollen. Die Briefe St. Pauli an die Thessalonicher und ihr Zusammenhang scheinen eine solche Entscheidung zu fordern, während doch durch die Stimmen vieler Brüder der vergangenen und gegenwärtigen Zeit einer solchen Entscheidung widerstritten wird. Da steht unsre Erkenntnis wie an einem Scheidewege. Niemand ist aller Bedenken los, er betrete die eine oder die andere Bahn. Der Geist aber, der in alle Wahrheit leitet, wird die, welche die Wahrheit und die Erscheinung Christi lieb haben, führen und leiten und Seiner Kirche zum Lichte helfen, wenn und weil sie es bedarf. Habe ich, meine Freunde, im Sinne der Unterscheidung einer zweiten und dritten Zukunft des HErrn gesprochen, so nehmet es versuchsweise. Was im Verlauf der Zeit, unter der Leitung des heiligen Geistes sich nicht bewährt, das falle dahin. Eins aber ist gewis, wie man es rücksichtlich der Zukunft Christi halte: der Todestrost bleibt unverkümmert in dem einen und andern Falle. Wir werden auferstehen, wir werden hingerückt werden in den Wolken, dem HErrn entgegen in der Luft und mit Leib und Seele ewig bei Ihm sein. Damit kann man selbst friedlich und fröhlich schlafen gehen und die Seinen getrost entschlafen laßen. Wer das lebendig und gläubig auffaßt, der kann sich und die Seinen, die da glauben, nicht für verloren achten, wenn die Nacht kommt, da man zur Ruhe und Schlaf gebracht wird. Wer das annimmt als ein Wort des HErrn (V. 15.), der kann die Klage, welche sich an Gräbern erhebt, nicht walten laßen, der muß seines Leides Meister werden. Er hat ja Hoffnung, und ihm gehören der erste und letzte Vers der heutigen Epistel, die, gleichen Inhalts, mit allem Ernste auffordern, sich den apostolischen Todestrost zuzueignen. „Nicht wollen wir euch verhalten, lieben Brüder, von denen die da schlafen, auf daß ihr nicht traurig seid, wie die Uebrigen, die keine Hoffnung haben.“ Ein gewisses Maß von Trauer an den Gräbern ist ja gerechtfertigt; haben doch auch Gottes Heilige, hat doch selbst Christus an Lazarus Grabe getrauert und geweint. Es ist und bleibt der Tod die bitterste Frucht der Sünde, und wer sie hinnehmen und eßen muß, hat ernste Stunde; auch gibt es da eine zeitliche Trennung an der Schwelle noch verhüllter Pforten. Todesstunden sind daher schon trübe Stunden, und es ist drum grade nichts Schönes, noch Edles, wenn irgendwo kein Mitgefühl und keine Trauer bemerkt wird. Aber verloren sind die Entschlafenden und Entschlafenen nicht, wenn sie in Christo sind; man soll drum auch nicht trauern, wie die andern, die Heiden, die keine Hoffnung haben, sondern, wie V. 18 sagt, wir sollen „einander trösten mit den Worten Pauli“ von der Auferstehung, von der Auffahrt, von der Vereinigung der Gläubigen mit ihrem Christus. Nicht mit geringerem, sondern mit echt apostolischem Troste sollen wir die Seele sättigen, wenn sie an Gräbern nach Trost seufzt. Die Herzen sollen erhoben werden zu dem hohen Troste, der, wenn er den thränenschweren Augen zu groß scheint, um ergriffen zu werden, doch die Kraft heiliger Schwingen und Flügel hat, uns von aller Traurigkeit zu erheben, so wie man sich nur von ihm ergreifen läßt.


 Meine theuern Brüder und Schwestern, wie nöthig ist Todestrost! Alle Tage macht der HErr Wittwer, Wittwen, Waisen, betrübte Leute. Immer sind eine große Anzahl von Familien in jeder Gemeinde vorhanden, welche in Traurigkeit versetzt sind und in schwarzen Trauerkleidern in der Versammlung der Christen erscheinen. Diese alle bedürfen Todestrost, es wäre schrecklich, wenn sie keinen bedürften. Wer keine Traurigkeit hat, wenn die Seinen sterben, in dem sollte man sie wecken, weil abgestumpfte Sinnen für die schlagende Hand des Todes keineswegs ein Vorzug sind. Die Traurigkeit ist werth, gepflegt zu werden, weil ihr Trost so schön ist und das ganze Erdenleben des Christen doch hauptsächlich nur ein

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/547&oldid=- (Version vom 1.8.2018)