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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und für wen sonst man diesen Trost haben soll, von dem muß man auch Grund haben, ihn zur Gemeinde, zu dem heiligen „wir“ zu rechnen, von dem der Apostel in den Worten redet: „So wir glauben“.

 Wohlan denn, so viel wißen wir, daß der apostolische Todestrost nur den Gläubigen gilt, – aber worin besteht er? In der dargelegten Hoffnung, wirst du ganz richtig sagen; aber wie wird eben diese Hoffnung zum Todestroste? Das laßt uns nun weiter sehen. Der ganze Nachdruck des Todestrostes bei der Anwendung der christlichen Hoffnung liegt in dem Worte des 14. Verses „mit JEsu führen“. Der leibliche Tod ist ein Schlaf, die todten Leiber schlafen im Grabe, der Verwesung unterthan. Aber es kommt für sie eine Zeit des vollen Gegensatzes; sie sollen aus der Erde nicht bloß auferstehen, nicht bloß auf Erden wieder wandeln, sondern über dieselbe erhoben durch die Luft mit ihrem HErrn und Gott vereinigt werden. Das ist apostolischer Trost an Gräbern. Gegenüber der Einsenkung und dem Begräbnis steht eine Auferstehung; gegenüber der Verwesung ein herrlicher, neuer Leib, wahrhaftig ein Leib, wie der sterbliche, aber geschickt, sich von der Erde zu heben und in den Lüften Platz zu nehmen. Eine Leichtigkeit der Bewegung, wie sie kein Vogel hat, eine Wesenhaftigkeit, wie sie jedes Todes spottet, eine Herrlichkeit, daß sie der des Gottessohnes zur Gesellschaft gegeben zu werden für würdig befunden wird, – das alles und was sonst noch darein eingeschloßen ist und daraus gefolgert werden kann, soll denen zu Theil werden, die als Leichname mit sich schalten laßen müßen wie mit einer Sache, und deren nächstes Ergehen im Grabe das reinste Gegentheil von dem ist. Man schafft ja die Leichname aus dem Angesicht und der Gesellschaft der Lebendigen hinweg, weil es nicht möglich ist, sie zu behalten, so lieb man sie habe, und die Schmach des menschlichen Geschlechtes in der Verwesung vor Augen zu sehen. – Schickt man sich in die Größe und Herrlichkeit der Verheißung, wagt man es, sie sich und den Seinen zuzueignen; so erwacht allmählich der Sinn für den großen apostolischen Trost und der Glaube hebt fröhlich seine Flügel über den Gräbern.

 Diese Todeströstung St. Pauli nimmt jedoch in unserm Texte noch eine andere Wendung. Die ersten Christen warteten auf die zweite Zukunft Christi. Sie sahen schon damals viel antichristisches Wesen, viele Antichristen, welche ihnen als Zeichen des nahenden Schreckensköniges, des eigentlichen Antichristus, des Menschen der Sünde, erschienen, der seinerseits wieder auf die baldige Ankunft des HErrn hindeutete, weil die Adler kommen, wo das Aas ist. Da hoffte man also den HErrn mit sterblichem Auge, im Leibe des Todes zu schauen, auf diese Weise dem Tode selbst zu entgehen und vor den schon Verstorbenen den großen Vortheil voraus zu haben, nicht entkleidet zu werden, nicht außer dem Leibe wallen zu müßen, sondern ohne Vermittlung von Todespforten in die innigste Gemeinschaft mit Christo zu kommen. So oft daher ein Christ starb, konnte er auch deshalb bedauert werden, weil er – bei so großer Nähe des HErrn und Seiner Wiederkunft – doch noch sterben und durch des Todes Pforten gehen mußte. Die große Noth des Sterbens war ihm nicht erspart worden. Dagegen erinnert nun St. Paulus in unserm Texte, daß die, welche die Zukunft Christi erleben würden, doch keineswegs vor den Todten den großen Vortheil gewinnen würden, welchen sie sich vielleicht dachten. „Sie werden den Entschlafenen nicht vorangehen,“ sagt er im 15. Verse, „ihnen nicht zuvorkommen“. „Die Todten in Christo, fährt er Vers 16 fort, werden zuerst auferstehen“, dann wird die Verwandelung der Lebendigen, diese wunderbare Um- und Neugeburt erst vor sich gehen, welche man billig wie eine Art des Todes ansehen könnte. Und erst wenn nun alle Heiligen Gottes in ihren neuen Leibern dargestellt sein werden, wird die Himmelfahrt und die Vereinigung mit Christo beginnen, durch welche die ewige, selige, sichtbare Gemeinschaft mit Ihm beginnt. Auch das sollte nach dem Sinne des Apostels Todestrost sein. Nicht bloß werden die Entschlafenen auferstehen, durch die Luft erhoben werden, wie man sagen könnte, Himmelfahrt halten; sondern es bleibt ihnen auch der sichere Vortheil, daß sie eher auferstehen, als die Lebenden verwandelt werden, daß sie das Wesen des unverweslichen Leibes eher anziehen, als diese. Die Lebenden, welche doch die Ueberkleidung und Verwandelung erfahren müßen, bei welchen das Sterbliche vom Leben muß verschlungen werden, denen eine Veränderung von nicht geringerer Art als der Tod bevorsteht, haben also nichts vor den Todten voraus, und diese

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/546&oldid=- (Version vom 1.8.2018)