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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auch deswegen bewundern, weil ein gewaltiger Ernst der leiblichen Abtödung sehr oft mit einem hohen Alter, ja mit den höchsten und ungewöhnlichsten Altersstufen des menschlichen Lebens zusammengeht. In den protestantischen Kirchen freilich denkt niemand mehr daran, die Darbringung des Leibes als lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer durch Abtödung auszuüben. Die neueren Erzieher haben zwar gar nichts gegen eine Abhärtung des Leibes zum Zwecke der Stählung und Kräftigung desselben; sie schlagen manches vor, was der Abtödung der alten Asceten verglichen werden könnte; sie brauchen ähnliche Mittel, aber zu einem ganz andern Zweck. Wer dasselbige thun wollte, um Gott in seinem Leibe ein nicht sterbendes, sondern kräftiges, lebendiges Opfer darzubringen, von dem würde man allenthalben mutmaßen, er sei auf geradem Wege nach Rom. Und doch reden nachweisbar nicht blos protestantische Theologen, sondern die Schrift selbst von einem löblichen Maße der Abtödung, und wir sehen nirgends, daß die leibliche Uebung gar nichts nütze, wenn gleich an einem Orte, daß im Vergleich mit dem Segen der Gottseligkeit ihr Nutzen ein geringer sei. Indeßen ist es ja allerdings richtig, daß eine pur äußerliche Abtödung des Leibes den Sinn des Apostels nicht trifft. Gottseligkeit thut unendlich mehr, als die bloß leibliche Uebung. Wer Gottes und Seines Geistes voll ist, in dem darf nur der Gedanke angeregt werden, den Leib als lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer darzubringen, so wird Lust und Liebe dazu im Innern erwachen, und der Ueberschwang der gottverlobten Seele wird die Bitte und Vermahnung des Apostels herrlicher hinausführen, als die allerdings oft peinliche und gesetzliche Abtödung der alten Asceten. – Dreierlei ist es, was die Seele am Leibe dieses Todes vielfach hindern und beschweren kann, der Anlaß zur bösen Lust, wie er allerdings oftmals hervortritt, die leibliche Schwere und Trägheit, welche den Geist so oft langsam macht zum Guten, und die Maßlosigkeit und Unordnung auch in der rechtmäßigen Begier nach leiblichem Genuß. Es ist ganz richtig, daß die Lust und alles Böse den Sitz nicht im Leibe, sondern in der Seele hat, und wer das Böse im Leibe, als in der Materie suchen wollte, gegen den müßte man mit jenem Eifer ankämpfen, mit welchem die Kirche je und je diese heillose Irrlehre bekämpft hat. Wer nun aber um deswillen nicht begreifen wollte, daß die Seele durch ihr leibliches, irdisches Organ mit der Welt um sie her in Verbindung steht, und daß ihr auf dem Wege der Sinne nicht blos richtige Gedanken, sondern auch ein Heer von bösen Begierden und viel Hindernis des guten Willens zugeführt werde, der würde durch eine richtige Lehre für eine derselben nicht widerstrebende tägliche Erfahrung und Wahrnehmung abgestumpft erscheinen. „Aergert dich dein Auge, Hand oder Fuß,“ sagt der HErr und gibt damit nichts anders zu erkennen, als was so eben gesagt wurde, daß der Leib und seine Glieder Anlaß zum Aergernis der Seele geben können. Will man nun auch das priesterliche Geschäft der Aufopferung nicht wie manche Asceten von außen nach innen, sondern auf dem Wege der Gottseligkeit von innen nach außen vollziehen, so muß man doch auch das erkennen und sich nach Leib und Seele dahin treiben und regieren laßen, daß Lust, Trägheit und Maßlosigkeit überwunden und auf diese Weise nicht blos die Seele, sondern auch der Leib als ein lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer dem HErrn dargebracht werde. Ob von außen nach innen, oder umgekehrt das Opfer vollzogen werde, ist übrigens die geringere Frage; vielleicht schließt eins das andre nicht einmal aus. Daß es aber geschehe, muß einer heiligen Seele ernster Lebenszweck sein. Auch das Fleisch muß durch den heiligen Geist wahrhaft lebendig, heilig und Gott wolgefällig werden, und wer dafür sorgt, übt einen vernünftigen Gottesdienst. – Es ist eine merkwürdige Sache, meine lieben Brüder, daß die griechische Sprache für Vernunft und Wort ein und denselben Ausdruck braucht, so daß der Name der ewigen, göttlichen Natur unsers HErrn JEsus, welcher bekanntlich „Gottes Wort“ ist, und die geschaffene menschliche Vernunft samt dem geschaffnen Worte mit einem und denselben Ausdruck, dem Ausdruck „Logos“ bezeichnet werden. Bei sothaner Sache ist es leicht zu denken, daß zuweilen das griechische Wort gebraucht wird, ohne daß man auf der Stelle unterscheiden kann, wie es zu übersetzen und zu deuten ist. Diese Mehrdeutigkeit geht auch auf das Eigenschaftswort über, welches von dem Hauptwort „Logos“ stammt; es kann dasselbe eben sowol heißen „dem Wort gemäß“ als „vernünftig“. So kann auch in unsrer Stelle eben sowol übersetzt werden, „welches sei euer dem Wort gemäßer Gottesdienst,“

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 090. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)