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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sagen: „Die Mischgestalt ist nicht von dem HErrn, sondern vom Teufel; nicht der HErr, der Teufel hat sie beabsichtigt und bewirkt.“ Und in dieser Antwort liegt denn allerdings schon große Hoffnung. Denn was nicht vom HErrn, was Seinem Willen zuwider ist, das hat kein Bleiben, das wird untergehen, so wie der Odem seines Mundes ausgeht und das Urtheil des Todes gesprochen wird.

 Freilich, daß also ein Theil der Menschen Teufelssaat ist, daß die Kinder der Bosheit dem Fürsten der Finsternis zugesprochen werden, und das von dem untrüglichen Munde Gottes selber, von dem liebevollsten Munde Deßen, der Gott und Mensch ist, der mit den Menschen fühlt und mit göttlichem Erbarmen sich zum Sünder neigt: das ist schrecklich und sollte uns erschüttern bis in die tiefsten Gründe unsrer Seele, uns von den Lagern und Ruhestätten altgewohnter Sünden mit Macht aufschrecken und uns mit Muth und Kraft beseelen, die Feßeln zu zersprengen, in denen uns etwa die Obrigkeit der Finsternis noch hält. Aber so schrecklich auch diese Reden Christi vom Teufel und seiner Gewalt sind, so haben wir doch nicht Ursache, ihrethalben andere Seiner Worte zu vergeßen, durch welche unsern Schrecken und dem Gebiete des Wortes, welches wir heute lasen, Grenzen angewiesen werden. Steht denn in einem Worte alles? Ist ein Wort der Bibel die ganze Bibel und kann man um eines Wortes willen, das der HErr gesprochen, alle andern, die in gleich liebevoller und weiser Absicht gesagt sind, ungehört und unbeachtet bei Seite laßen? Die Bösen sind eine Saat des Teufels, aber waltet denn über ihnen eine unabänderliche Verfügung des Allerhöchsten, daß sie böse bleiben müßen? Kann Gott alles, nur nicht des Satans Werk zerstören? Wir sind ja von Natur alle Kinder des Zorns − und wenn die Guten für die Welt eine Aussaat Christi sind, gesäet um gute Frucht zu bringen, so hat Er sie eben, ehe Er sie säete, gut gemacht, und jene heiligen und herrlichen Worte von der Wiedergeburt des Menschen, von deren Möglichkeit und Wirklichkeit, werden deshalb durch das heutige Gleichnis nicht umgestoßen oder Lügen gestraft, sondern man muß beide im harmonischen Zusammenklang verstehen. Ist aber das wahr, daß der HErr einen Theil der Menschen gut gemacht hat, so kann ein Gleiches auch bei dem andern Theil geschehen, weil ja Gott will, daß allen Menschen geholfen werde; − und wenn nicht alle gut werden, wenn die Mischung bleibt, so liegt das nicht an einem unabänderlichen Gotteswillen, sondern am Widerstand der Creatur und an der freiwilligen Hingebung des Menschen in die Sklavenketten des Bösewichts, der ein König des Zwiespalts und ein Ursächer ist, daß die Menschheit nicht einig und gut, sondern selbst mitten unter den Jüngern des HErrn Abfall und ein Judas erfunden wird.


 Kehren wir jedoch zurück zu unserm Texte und deßen Betrachtung und beantworten uns die zweite Frage: „Warum wird die Mischgestalt der Welt so lange geduldet?“ − Daß sie nicht immer werde geduldet werden, ergibt sich doch, wie bereits angedeutet, schon aus der Gewisheit, daß sie von Gott nicht stammt, daß sie Gott nicht gefällt, daß der Acker der Welt Sein ist, daß Er in und über demselben walten kann und dermaleins auch walten wird nach Seinem Wohlgefallen. Aber warum verzieht denn Scheidung und Gericht so lange? Den Heiligen Gottes wird es so trüb ums Herz, wenn sie all den Jammer sehen, welcher aus dieser Mischung folgt; warum verträgt denn der Heilige, warum der Erbarmungsvolle, der ewiglich herrschet, die Ungerechtigkeit der Kinder Bosheit und die Noth der Kinder des Reiches so lange? Es unterliegt doch oftmals der Fromme so himmelschreiend seinem bösen Nachbar, und der Gottlose siegt oft so vollständig und seine Macht drückt so empörend aufs Herz des beßeren Mannes, daß man in Versuchung kommt, mit den Donnerskindern Zebedäi nach Feuer vom Himmel zu rufen. Oft sieht man solches Siegen und Unterliegen nicht bloß im Lebenslaufe einzelner, oft betrifft es Geschlechter und Völker − und der gewaltige Eindruck wird dadurch nur noch verstärkt, die Frage „warum“ desto tiefer ins Herz gedrückt, um desto höher und sehnlicher zu Gott aufzusteigen. Also warum, warum verträgt der HErr diese abscheuliche Mischgestalt der Welt so lange, warum wird des unseligen Wirrwarrs so lange kein Ende? Möge uns diese Frage gelöst, oder beßer zu reden, diese Anfechtung abgenommen und uns Licht gegeben werden können, wo uns die Dunkelheit so sehr beunruhigt und fast zum Aergernis wird!

 Es gäbe der Antworten manche, welche man geben könnte. Man könnte tröstend mit dem HErrn sprechen: „Laßet das Unkraut mit dem Waizen wachsen bis zur

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 095. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/106&oldid=- (Version vom 28.8.2016)