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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

doch ein rechtes Verständnis zu haben, kommt leicht auf den Gedanken, daß er viele Krankheiten zugleich in seinem Leibe habe. So kann ein Mensch, der sich rücksichtlich der vierfachen Bodengattung prüfen will, etwas vom Weglande, etwas vom Felsenland, etwas vom Dornenland in sich entdecken, aber nichts vom guten Lande, und es kann ihm sehr bange werden. Aber man forsche nur tiefer und überlege genauer und es wird sich doch finden, daß auf einen jeden Menschen eine Bodenbeschaffenheit vorzugsweise paßt, daß ein jeder Mensch seiner natürlichen Anlage nach entweder Wegland oder Felsenland oder Dornenland sei. Man prüfe seine Anlage und nehme es mit dem Grundfehler genau. So weit kommt leicht ein jeder, zu erkennen, daß es ihm irgendwo fehle, daß er nicht sei, wie er solle, − und jeder sehnt sich am Ende auch nach Heilung. Aber wie soll man sich um Heilung recht bekümmern und die gewiesenen Wege zu ihr einschlagen, wenn man das Grundübel nicht erkennt, an dem man eigentlich krankt? Es ist nichts Angenehmes, sich genau beobachten und erforschen; es gibt so viele traurige Wahrnehmungen dabei. Aber nothwendig bleibts doch und es sollte keiner sein Auge von sich und unserm Gleichnis wenden, bis er vergleichend herausgebracht hat, zu welcher Bodengattung sein Herz gehört.

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 Freilich ist man damit, daß man sich so erkennt, noch nicht heil. Die Erkenntnis des Grundfehlers ist nicht an und für sich selbst schon heilsam, so wenig ein Land oder Acker damit, daß sie in ihrem Fehl und Mangel recht erkannt wurden, auch schon geändert, urbar und fruchtbar gemacht sind. Aber es ist doch mit der Erkenntnis des Fehls zugleich auch in einem gewissen Maße die Erkenntnis deßen gegeben, was man nöthig hat, das Auge geschärft, den Weg des Heils zu suchen, und man weiß, wogegen, und im Allgemeinen auch, um was man zu bitten hat. Und damit haben wir immerhin die Thür zur Hilfe in der Hand! Denn wir dürfen um alles bitten, warum nicht um Umänderung unserer Seelen zu einem fruchtbaren Ackerland Gottes? Oder meint jemand, das Gleichnis dieses Sonntags habe den Sinn, daß ein jeder Mensch zu dem Ackerlande, zu welchem er sich in einer Zeit seines Lebens zu rechnen hat, auch unverändert und immerdar gehören müße? Das hieße weit abkommen von der göttlichen Wahrheit! Wir haben, mögen wir nun durch Anlage und Geburt sein, wer und wie wir wollen, den großen Trost, daß wir nicht unveränderlich, noch unverbeßerlich sind. Es ist ja von Natur keines Menschen Herz feines und gutes Land. Gibt es aber Land dieser Art, wie denn schon unser heutiger Text das ganz gewis sagt, so muß es gut geworden sein. Ist aber eins gut geworden, warum sollte ein anderes böse bleiben müßen? Der Weg kann umgegraben, der Fels zerschlagen und zermalmt, das Dornenland gereinigt werden − und das alles durch dasselbige Wort, das in unserm Gleichnis als Same dargestellt ist, das aber von dem HErrn und Seinem Geiste auch einem Hammer, einem Waßer, einem Feuer verglichen wird, weil es des Hammers zerbrechende, des Waßers und Feuers erweichende, auflösende, schmelzende, reinigende, läuternde, heilende Kraft besitzt. So wie wir also erkennen, an welchem Gebrechen unser Herzensboden leidet, so wenden wir uns um Hilfe zu Dem, der helfen kann, der auch helfen will, und bitten um Aenderung unserer Seelen. Er hat es gesagt und es ist geschrieben: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde:“ darauf hin können wirs wagen und zu Ihm beten. Wir können mit Jakob rufen: „Ich laße Dich nicht, Du segnest mich denn“, können zubeten, bis der Weg sammt den Vögeln, der Fels sammt der Hitze, das unreine, geile Wesen des Erdbodens sammt allem Unkraut hinweggethan und gutes Land geworden ist. Bei Menschen ist freilich Beßerung und Seligkeit unmöglich; aber der HErr, der Sich unsrer Seelen in Christo JEsu herzlich angenommen hat, ist reich und mächtig über alle und vermag alles − aus Steinen Abrahams Kinder, aus faulen Bäumen gute, aus bösem Lande heiliges, fruchtbares Land zu machen, und wir können und sollen es an uns selbst erfahren.

 Wohlan denn, geliebte Brüder, weil wir das wißen, so wollen wir auch Fleiß thun, daß wir die Zeit nicht versäumen, die uns zum Heile gegeben ist. Das Wort des HErrn leuchte uns in unsre Seele, daß wir uns erkennen: wir wollen den jammervollen Blick in unsre Nacht nicht scheuen, so grell auch ihre Finsternis im Lichte des HErrn sich zeigen mag. Und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/130&oldid=- (Version vom 28.8.2016)