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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

das ist doch etwas ganz Anderes. Dem Bösen gar nicht verwandt sein, und doch alles Bösen Folge und Strafe auf sich zu nehmen, das kann keine kleine Aufgabe sein. Wir verstehen sie nicht, diese Aufgabe; sie ist weit über unsre Ahnungen: wer will davon reden? Aber groß, sehr groß, größer als jede andere war sie. Der, vor deßen Tod die Sonne den Schein verliert und die Felsen splittern, an dem wir nie eine Furcht sahen, unser HErr und Heiland, zittert und zagt vor Seiner Aufgabe, sinkt unter ihr in des Todes Staub, und Seine blutsaure Arbeit wird von Ereignissen begleitet, aus denen man Beweis genug entnehmen kann, daß auch im Himmel das Werk, welches Er zu vollenden hatte, für schwer und jedem andern unlösbar gehalten wurde. Das wollen wir im Auge behalten, dann wird uns bedeutungsvoller und wichtiger erscheinen, was ich jetzt von dem Eintritt und der Darstellung JEsu zu Seinen Leiden zu sagen habe. Bedeutungsvoller, wichtiger, sage ich, − und ich sage es mit Bedacht und im Gefühle meiner selbst und meiner Worte, die ich sagen will. Ich weiß nicht, meine Brüder, was ihr denket, aber so ist mir: ferner von der großen Woche, die wir heute beginnen, und von dem großen Versöhnungstag der Welt, der nun kommt, wollt ich von JEsu Leiden lauter, mächtiger, reicher reden; aber je näher hinan, desto mehr steigt vor mir zu ungemeßener Größe die That des HErrn, − meine Zunge wird schwer, − die Worte reißen sich mühsam von der Seele ab, ich kann nicht reden und es ist mir, als riefe mir eine gewaltige Stimme zu: „ Stille vor Ihm, alle Welt.

 Jedoch sei es versucht, zu lallen, − und den Beginn der großen Woche damit einzuleiten, daß ich euch vom Eingang JEsu zu Seinen Leiden erzähle, wie Er so willig , so voll großer Liebe , voll Kraft und Hilfe gewesen ist. Euch sei mein Wort erträglich, das kleine, winzige, neben der allmächtigen Liebesthat unsers hochgelobten HErrn und Meisters.


 Der HErr wußte, was Ihm bevorstand. Schon da Er noch in Galiläa war, am Tage und auf dem Berge der Verklärung redete Er mit Elias und Moses von dem Ausgang, den es mit Ihm in Jerusalem nehmen sollte. Er hatte auch Seinen Jüngern zu mehreren Malen von dem Tode Mittheilung gethan, den Er leiden sollte. Petrus hatte Ihn deshalb abhalten wollen, nach Jerusalem, dem Orte Seiner Leiden, hinaufzugehen. Aber Er wollte nicht zurückbleiben. Er nannte Petrum einen Satan, weil er Ihn hindern wollte, und göttlich nannte Ers, hinaufzugehen. Er gieng auch und strauchelte nicht, gieng über den Jordan nach Jericho, von Jericho nach Bethanien, und nun hinab nach Jerusalem. Er war öfter an Ostern nach Jerusalem gegangen, um Passa zu essen ; aber so war Er nie gekommen, denn Er war nie gekommen, um selber das Passalamm zu werden und zu sein , Sein Blut und Leben zur Erlösung für viele aufzuopfern. Noch in Bethanien hätte Er umkehren können, Er wußte ja, was Er that und was Ihm bevorstand. Aber nein, Er geht und zaudert nicht, Er geht, macht selbst Anstalt zu Seinem Eintritt und ordnet alles an, ohne daß Sein Auge naßt und Seine Stimme bebt. Er reitet hinab, Er sieht im Hinabritt dieses Jerusalem, Seine Todesstätte und Seinen Begräbnisort. Es läßt Ihn stille, Er trägt den Anblick, ohne daß Er zu tragen scheint. Er weint zwar, aber nicht Seinetwegen, sondern um Jerusalem weint Er. Das Wort, welches Er hernach an die jerusalemitischen Frauen richtete: „Weinet über euch und über eure Kinder“ weist alle Mitleidsthränen von Ihm ab. So ganz Sein überdachter, entschloßener Wille ist Sein Kommen! So ganz bereit zu allem Gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze ist Er! Es ist, als schwebte von Seinen Lippen ein heiliges Wort, einst vom Geiste der Weißagung gesprochen: „Opfer und Gaben hast Du nicht gewollt, aber den Leib hast Du Mir bereitet. Siehe, Ich komme, zu thun Deinen Willen. Deinen Willen, mein Gott, thue Ich gerne.“

 Erinnert euch, meine Freunde, an alles das, was ihr je und je von der Größe der Leiden JEsu vernommen habet, von der Manchfaltigkeit Seiner Leiden, wie sie Erden- und Höllenleiden gewesen sind, von der sündenbüßenden, versöhnenden, erlösenden Kraft Seiner Leiden; wiederholet euch alles im Geiste, mit eilenden Gedanken; denket dann, JEsus wußte das alles, und wie unendlich viel mehr, − und setzet dann dazu: Das alles zu leiden, war Er willig, zu all dem Leiden stellt Er Sich dar bei Seinem Eintritt! Der Wille des HErrn wird euch alsdann so groß erscheinen, und doch auch so gut und freundlich; ihr werdet alsdann ganz wohl vorbereitet und entflammt sein,


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/166&oldid=- (Version vom 14.8.2016)