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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

JEsu, in welcher wir der hohen Dienste gedenken, welche uns Gottes Sohn zu unserer Seligkeit gethan hat, in welcher wir unseres Verdienstes, das heißt, unserer Sünden gedenken, gedenken wir auch der heiligen Pflicht dankbarer Nachfolge JEsu. Wir können nicht hingehen und auch eine Welt erlösen, darin können wir dem HErrn nicht nachfolgen, das hat Er ganz allein gethan, wie Er es auch ganz allein thun konnte; der Wurm im Staube hat den Leib nicht, und nicht die Kraft, dem Adler nachzufliegen, welcher sich zur Sonne schwingt. Es ist genug, wenn er im Staube kriecht, und sich langsam bis zu den Höhen irdischer Hügel und Berge bewegt. Wenn ihn die Lust zum Adler und zu seinem Fluge nur dahin bringt, daß er dieselbige Richtung nimmt, so thut er was er soll. Der HErr dient uns alle Tage mit Seinem Blute und einmal mit dem Fußwaschen, wir kehren es um und dienen einander und dem HErrn Selber in unsern Brüdern mit geringen kleinen Erdendiensten, die man dem Fußwaschen vergleichen kann; wir waschen immer die Füße, nimmer die Seelen, üben den hohen Sinn der Liebe unermüdlich im Niedrigen und Kleinen, und haben dabei die Beruhigung zu thun nicht bloß, was wir durch Gottes Barmherzigkeit können, sondern auch, was dem HErrn von uns am allerbesten gefällt, was Ihm von uns das Liebste ist. Wohlan, so sei’s auch, es gibt keine andere Kirche, als die da liebt und dient. Ein Verein freiwilliger, gegenseitiger Diener, getrieben durch Liebe und Anbetung JEsu, ist die Kirche; ihr wollen wir angehören, so entschließen wir uns also zum Dienste und dieser Entschluß und ein seliger Beginn der Ausführung desselbigen bezeichne diesen Tag und diese Woche. Der HErr aber schenke uns kräftigen Fortgang und selige Vollendung und mache uns allzumal groß im Dienen und gebe einem Jeden, bei solchem Thun und in solchem Thun selig zu sein. Amen.




Am Charfreitage.

Nachmittags.
(Zur Todesstunde des HErrn JEsus Christus.)
Evang. Marc. 15, 33–47.
33. Und nach der sechsten Stunde ward eine Finsternis über das ganze Land, bis um die neunte Stunde. 34. Und um die neunte Stunde rief JEsus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? Das ist verdolmetschet: Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlaßen? 35. Und etliche, die dabei stunden, da sie das höreten, sprachen sie: Siehe, Er ruft dem Elias. 36. Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Eßig und steckte ihn auf ein Rohr und tränkte Ihn und sprach: Halt, laßt sehen, ob Elias komme und Ihn herabnehme. 37. Aber JEsus schrie laut und verschied. 38. Und der Vorhang im Tempel zerriß in zwe[i] Stücke, von oben an bis unten aus. 39. Der Hauptmann aber, der dabei stund gegen Ihm über und sahe, daß Er mit solchem Geschrei verschied, sprach er: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen! 40. Und es waren auch Weiber da, die von ferne solches schaueten, unter welchen war Maria Magdalena und Maria, des kleinen Jakobus und Joses Mutter und Salome, 41. Die Ihm auch nachgefolgt, da Er in Galiläa war, und gedient hatten und viele andere, die mit Ihm hinauf gen Jerusalem gegangen waren. 42. Und am Abend, dieweil es der Rüsttag war, welcher ist der Vorsabbath, 43. Kam Joseph von Arimathia, ein ehrbarer Rathsherr, welcher auch auf das Reich Gottes wartete; der wagte es und gieng hinein zu Pilato und bat um den Leichnam JEsu. 44. Pilatus aber verwunderte sich, daß Er schon todt war und rief dem Hauptmann und fragte ihn, ob Er längst gestorben wäre? 45. Und als er es erkundet von dem Hauptmann, gab er Joseph den Leichnam. 46. Und er kaufte eine Leinwand und nahm ihn ab und
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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/182&oldid=- (Version vom 28.8.2016)