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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

lichten Strom der göttlichen Gnadenordnung werden sie sich wohl wie im Himmel befunden haben. Wir haben nur ein stilles sehnendes Nachsehen in jene längst vergangenen Stunden hinein: eine Enthüllung der Herrlichkeit Christi, wie sie damals den Jüngern vergönnt war, wird uns nicht zu Theil. Aber es wird eine Zeit kommen, in der wir Ersatz und Entschädigung für all unsern Mangel, für alle Entbehrung und Stillung unsers sehnlichen Verlangens finden werden: obschon diese Zeit langsam zu nahen scheint, wenn sie erscheinen wird, werden wir erkennen, warum sie verzog; wir werden sprechen: „Dein Verweilen ist ein Eilen.“ Dann werden auch wir Ihn erkennen, wie Er ist, und wir werden sein, wie Er ist, auch unser Leib wird ähnlich sein Seinem verklärten Leibe. − Von diesem verklärten Leibe noch einiges zu reden erlaubet mir. Es wird sich in diesen Bemerkungen unsre eigene herrliche Zukunft spiegeln und unser Herz wird sich desto mehr freuen, ihr von Tage zu Tage näher zu kommen.

 Sehet noch einmal in unsern Text! Der auferstandene Christus naht Sich den Jüngern − und wie? Ich sagte in verhüllter Gestalt; aber wo waren die Hüllen? Um Seinen Leib her nicht. Es ist im Texte keine Spur davon, daß der HErr eine andere Gestalt angenommen oder die Gestalt Seines verklärten Leibes verhüllt hätte. Ums Auge der Jünger waren die Hüllen; ihre Augen wurden gehalten, daß sie Ihn nicht erkannten, sagt der Text. Und als sie Sein gewahr wurden, heißt es: „ihre Augen wurden aufgethan.“ Also war Er unsichtbar, wenn die Augen gehalten wurden, und sichtbar, wenn sie aufgethan wurden. Seinen Jüngern wurden die Augen aufgethan, darum sahen sie endlich nicht bloß einen Pilgrim, sondern den wohlbekannten HErrn; die Ihn aber zuvor nicht erkannt und geglaubt hatten, sahen in Ihm nie den HErrn, sondern einen, der an ihnen vorüber gieng, an sie keinen Auftrag auszurichten und bei ihnen kein Geschäft zu vollziehen hatte. Es liegt an den Augen: etliche sehen, die andern sind blind, nicht jedes Auge ist verläßig, bei Seinen Jüngern aber fehlt jeden Falls nur ein Kleines, so schauen sie Ihn und sind durch Sein Schauen genesen für immer und ewig. Sie wandeln hier, wie die Jünger von Emmaus, da sie von Jerusalem ausgiengen. Es gilt ihnen der Bund: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Sie sind damit zufrieden um so mehr, als sie Seine Rede vernehmen und ihr Herz immer brennender wird von Lieb und Licht zu Ihm. Dann kommt einmal schnell ein Stündlein, das zieht vom Auge die Blindheit, wie einen Vorhang, das Auge erstarrt und wird todt vor dem Angesicht und Urtheil eines menschlichen, noch sterblichen Betrachters, aber in der That ist es im Tode genesen von allem Dunkel und sieht dann allezeit und überall die göttlich menschliche Person des HErrn JEsus, und zwar ohne ferner zu erblinden, wie St. Pauli leibliches Auge erblindete, als er den HErrn bei Damascus sah.

 Als der HErr mit Seinen Jüngern wanderte und Sich vor ihnen offenbarte, war Er berührbar, berührte, hob, segnete auch selbst die Speise, brach sie und gab sie ihnen; Er wars, der am Kreuz gehangen, Er wars in leiblicher Gegenwart und man erkannte Ihn; aber Er verschwand auch wieder von ihnen, und schnell wechselte mit dem Anwesen die Abwesenheit. Also Er war im Raume, aber der Raum hielt Ihn nicht und Sein Leib war nicht mehr von demselben abhängig. Er kam, weißt du von wannen? Er gieng, weißt du wohin? Er war da, weißt du wie? Sein Leib, indem Er erschien, war nicht bloß auf einige Zeit angenommen, es war der Leib der Ewigkeit, ein wahrhaftiger Leib, − und doch so gar nicht mehr den Bedingungen dieses unsers sterblichen Lebens unterthan, sichtbar, unsichtbar, anwesend, abwesend, wie der HErr es wollte. Was für eine wunderbare Sache ist es also um den Leib der Ewigkeit, nicht bloß um Christi ewigen Leib, sondern auch um den unsrigen! Zwar wird die Verbindung, in welcher die Menschheit JEsu mit Seiner Gottheit steht, einen Unterschied zwischen Ihm und uns bewirken, der noch viel augenfälliger sein wird, als der Unterschied, der zwischen dem Leben Christi und unserm Leben im Todesleibe gewesen ist. Da Seine Menschheit durch die ewige Ehe, in welche sie mit der Gottheit getreten ist, aller Herrlichkeit Gottes theilhaft geworden ist, so ist der HErr leiblich und sichtbar überall, wo es Ihm gefällt, also zu sein oder zu erscheinen; ja, es ist Grund vorhanden, gerade zu sagen, der Gottmensch Christus kann überall sein und ist überall. Und in dem Betracht, was sind wir da gegen JEsum? Dennoch aber trägt Er einen Leib, wie der unsrige sein wird, ewig an Sich, gleichwie Er hier einen Todesleib gehabt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/199&oldid=- (Version vom 28.8.2016)