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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wir, ehe wir diesen Vortrag schließen, noch kürzlich betrachten wollen.

 Der HErr erinnert das Volk an die Zeit, wo Johannes noch in der Wüste war und predigte, wo sie hinausgeströmt waren zu ihm. „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste, zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet?“ So fragt er − und seine Frage, die Art, wie er sie sprach, ohne Zweifel auch die Gebärde, welche er dabei annahm, waren so, daß eine Antwort überflüßig war. Ein jeder merkte wohl, daß nach dem Sinne JEsu ein vom Wind bewegtes Rohr das Gleichnis nicht war, das auf Johannes paßte. So hatten sie auch von Johannes nicht gedacht; etwas der Art konnte allenfalls eben erst in den Seelen derjenigen sich geregt haben, welche die Frage der Jünger des Täufers vernommen hatten. − Ein Rohr, nein, das war auch Johannes nicht: der Wind hatte keine Macht über ihn. Wol gieng ein starker Wind, wol stand Johannes in innern Stürmen der Anfechtung; aber des Windes Wehen riß ihn nicht auf eine andere Seite, als zuvor, vielmehr neigte er sich desto ernstlicher zu JEsu, sandte, da er selbst nicht gehen durfte, seine Jünger zu JEsu und das Auge und Ohr seiner Seele hieng ganz an JEsu Munde. Gerade das Benehmen Johannis in seiner Anfechtung bewies, daß er kein Rohr war, sondern daß Treue gegen JEsum und Beständigkeit die Tugenden waren, welche siegreich aus dem Kampfe giengen. − Wol dem, den alle seine Anfechtungen JEsu näher bringen, der sich allezeit fest hält an Ihm! Ja wol dem! Dem dient Wind und Sturm wider Willen zur Fahrt, der ist ein Beweis, daß alle Dinge denen zum Besten dienen müßen, die Ihn lieben.

 JEsu treu!“ das war des Täufers erstes Lob aus des HErrn Munde. Und „unbestechlich rechtschaffen und wahrhaftig“ − das war sein zweites Lob. Darum fragt der HErr: „Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern!“ Durch diese Rede trat des Täufers unbestechliche Wahrhaftigkeit in helles Licht. Jedermann wußte, daß er nicht in Herodis Haus, sondern in Herodis Kerker war. Jedermann wußte, warum; daß es um der Wahrheit willen war. Jedermann wußte, daß es hätte anders sein können, daß Johannes ganz wol in des Königs Haus hätte kommen können. Es war nicht Ungeschick, nicht Rohheit, was ihm den Mund gegen den König aufgethan hatte. Er war eines Priesters Sohn, des Geistes Zögling von Jugend auf: wer will dem ein edles, ehrfurchtgebietendes Benehmen auch vor Königen absprechen? Herodes hörte ihn gern, hatte ihn lieb. Er hätte Einfluß bekommen, groß werden können am Hofe, wenn er dazu nicht zu groß gewesen wäre, wenn es für ihn eine Stelle an diesem Hofe gegeben hätte, eine Stelle, seiner werth, − wenn er nicht zu untadelich und unnahbar gewesen, zu vollkommen, zu gerecht und zu bescheiden die Wahrheit gesprochen und damit zu tief in Herzen und Gewißen gesprochen hätte. Er gieng drum nicht in des Königs Haus, sondern wie es sein muß, wenn die Bosheit und das Laster herrscht, er gieng in des Königs Kerker, wie andere Propheten vor ihm − und der Kerker an sich focht ihn nicht an. Er dachte nur, nun sollte JEsus steigen; − wenn er abnähme, müßte JEsus zunehmen, das war der Gedanke, der ihn durchdrang und der ihm zur Anfechtung gedieh. – – Wenn man sichs denkt: Johannes in weichen Kleidern! Gewis, das paßte nicht! Drum eben könnte man meinen, es wäre die Bemerkung, daß Johannes kein Mann in weichen Kleidern gewesen sei, überflüßig gewesen. Man könnte sagen: wer im Wind kein Rohr ist, der wird auch nicht durch der Könige Gunst und weiche Kleider verderbt. Man könnte es sagen! Aber es ist beßer, man sagts nicht, sondern schlägt an seine Brust, denn es ist doch nicht wahr. Der Umgang der Hohen, die weichen Kleider, der Sonnenschein königlicher Gunst hat mehr als einen, der im Sturme fest stand, innerlich weichlich gemacht, entnervt, getödtet für Gottes Reich, − und es ist drum grade das Lob, welches auf das Gleichnis vom Wind und Rohr kommen muß, daß Johannes kein Mann in weichen Kleidern ist, sondern ein Prophet im Kerker.

 Ja, ein Prophet ist er, denn Gott hat ihn auserwählt, von Mutterleib an ausgerüstet, ihm einen Auftrag gegeben zu weißagen von Dem, der da kommen soll, ihn Gesichte sehen laßen, wie keinen Propheten, ihn Thaten thun laßen, wie keinen: denn dieser hat Gott im Fleisch gesehen, und den Menschgewordenen getauft. Er ist ein Prophet, es ist wahr;

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 019. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/30&oldid=- (Version vom 14.8.2016)