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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

aber ein besonderer, ein Prophet, dem sein Stuhl allein gesetzt werden muß, denn sein Prophetenamt hat sich in das Amt eines Engels aufgelöst. Drum bleibt auch Christus nicht bei dem Prophetentitel Johannis stehen, sondern er eilt weiter und nennt ihn Engel, Seinen Engel. „Was seid ihr hinausgegangen zu sehen?“ spricht Er: „Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist, denn ein Prophet. Denn dieser ists, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“ Es hat viele Propheten gegeben im Alten und Neuen Bunde, aber Engel des HErrn ist keiner als Johannes. Schon Maleachi hat ihn im Geist einen Engel genannt und der HErr, vor dem er hergieng, bestätigt ihm diese Würde. Johannes war ein Engel, nicht von Natur, sondern dem Dienste nach. Wie die Engel des HErrn Boten sind, so war es auch Johannes. Wie die Engel vor dem HErrn stehen, so stand Johannes vor dem HErrn und gieng in Seiner nächsten Nähe. Wie die Engel des HErrn Geburt verkündigten, so verkündigte Johannes Sein Kommen. Wie die Engel unmittelbar dem HErrn dienen, so diente er Ihm selber, unmittelbar, denn er taufte Ihn. Wie die Engel auf Erden ihr Geschäft verrichten und von der Erde nichts begehren; so that der Engel Johannes seines Berufes Geschäfte, dann eilte er von hinnen zur ewigen Stadt. Er lief seinem HErrn voran in der Geburt, im Lehr- und Prophetenamt, in der Schmach und im Tode, ja endlich auch in dem Hingang zum Vater.

 Siehe, wie groß ist Johannes! So war er, so blieb er. Von dieser Herrlichkeit, von seiner Treue, von seiner Wahrhaftigkeit, seinem Prophetentum und Engelamt gieng ihm zur Zeit der Anfechtung nichts ab. Er sank in der Achtung seines HErrn nicht. Er blieb, was er war, und der HErr bekennt sich zu ihm zum Beweis, daß Seine Knechte um der Anfechtungen willen, die sie erdulden, nicht aufhören, Sein zu sein. Wie mögen diejenigen gestaunt haben, welche die Frage Johannis und darauf die Rede JEsu hörten! Der Frage nach schien es, als gienge es abwärts mit Johanne, und nun diese Vertheidigung aus JEsu Mund, diese Erhebung, diese Auslegung einer der herrlichsten Weißagungen des alttestamentlichen Propheten auf ihn! Also war ers, auf den Maleachi sah und wartete, auf den ganz Israel Jahrhunderte lang wie auf einen Morgenstern wartete! Welch eine Glorie hat nun Johannes!

 Und was für eine hat JEsus! Denn JEsus gibt ja Johanni diese Glorie! der Geber ist aber größer, als der Empfänger. Ja, wie viel größer ist JEsus, als Johannes! Indem er den Johannes Seinen Engel nennt, ist es ja offenbar, daß Er selbst der HErr ist, vor welchem her der Engel kam. Indem Er ihn seinen Engel nennt und die Weißagung auf ihn auslegt, öffnet Er ja den Juden die Augen, daß sie Ihn selber recht erkennen. Er lehrt sie neuen Beweis dafür, daß Ers ist und kein anderer, daß auf Ihn Himmel und Erde wartete. Johanni sagte Er diesen Beweis nicht; denn eben Johannes war der Beweis − und eben am Vorläufer erkennt man den HErrn. − Mit welcher Schonung, mit welcher zarten Liebe bedeckt JEsus Christus seines Engels Anfechtung; wie kleidet er den Demüthigen demüthig in den Glanz seines gnädigen Bekenntnißes zu ihm. Wie hehr und majestätisch sind zugleich Seine Worte! Wer hat jemals so gesprochen, − so getröstet, − so gehandelt, so Huldigung und Zuflucht der gejagten Sünder, so ihre Dienste angenommen und belohnt? Es ist keiner, wie ER! Es war keiner − und kommt auch keiner, wie ER! ER ists, der da kommen sollte! Seine heilige, unaussprechlich hehre, gnädige Erscheinung sei uns immer klar und nie müße die Zeit kommen, wo wir sie nicht erkennen! ER laße uns Sein Antlitz leuchten, daß wir auf Erden erkennen Seinen Weg. Wenn es kommen wird, daß wir in Anfechtung kommen, oder sterben, oder daß wir unter den Schrecken Seines mahnenden Gerichtstages auferstehen: ach dann nehme Er uns unter Seine Fittige, wie den heiligen Täufer, und verschmähe uns nicht, wenn wir Zuflucht zu Ihm nehmen! Es segne uns Gott, unser Gott! Es segne uns Gott und gebe uns Seinen Frieden! Amen. Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 020. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/31&oldid=- (Version vom 14.8.2016)