Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/311

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Es ist nicht Zeit, meine Freunde, moralische Anwendungen zu machen. Seid stille! Er ist durch einen Kampf gegangen. Das Lämmlein hat nun unsre Last auf Sich genommen nach des Vaters Willen. Es wird Ihm nun gelingen − und dann ists gut, gut für uns und unsers Gleichen. Hie heißt es: „Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des HErrn! Selig macht Er uns in der Höhe!“




7. Die Gefangennehmung.
Matth. 26, 47–56.

 SChon in der ersten dieser Lectionen ist hervorgehoben worden, daß JEsus freiwillig in das von Ihm erkannte Leiden gieng. Zu besonderem Beispiel davon kann die Geschichte Seiner Gefangennehmung dienen. Sein freier Wille war aber Unterordnung unter den Willen Seines himmlischen Vaters. Was der Vater in Eintracht mit Seinem ewigen Sohne gewollt hat, war eitel Gnade und Wohlthat für die Menschen, ihnen offenbarte Gott diesen Seinen Willen in herrlichen Verheißungen. Dagegen war alles, was für die Menschen Verheißung war, für den menschgewordenen Sohn Gottes selbst nichts als ein göttliches Gesetz, das Seinen Lebensgang vom Anfang bis zu Seinem Tode regelte. Wenn Er diesen Willen Seines Vaters nicht vollzog, war es aus mit allen Verheißungen. Aber Er ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz, und Sein heiliger Gehorsam bringt uns die Erfüllung aller Verheißungen. Seinen freien und treuen, vollkommenen Gehorsam gegen das heilige Gesetz Seines Lebens, den Willen Seines Vaters, laßt uns nun in der Geschichte Seiner Gefangennehmung schauen. − Die Häscher, Soldaten und Leute, die im Dienste der Hohenpriester und des hohen Rathes standen, waren gekommen, mit ihnen die Hohenpriester, die Tempelhauptleute und Aeltesten selbst. Es war mondhell, sie hatten sich aber dennoch mit Fackeln und Lampen vorgesehen; dazu war alles in Waffen, wie wenn es eine Schlacht gelten sollte, − und voran dem Haufen gieng Judas. Mit einem Kuße verrieth er Ihn, der Freche, welcher das Zeichen der innigsten Liebe zum Kennzeichen des erwählten Schlachtopfers ihres Haßes machte, auf daß erkannt würde, daß der Liebenswürdigste das Sühnopfer unsers Haßes werden sollte. Von Juda weg geht der HErr der Menge entgegen. Voll ernster Majestät schreitet Er daher und sein: „Wen suchet ihr?“ schallt ihnen entgegen. Sie nennen den Gesuchten, und Er macht, daß sie bei Seinem Bekenntnis: „Ich bins“ rückwärts weichen und zur Erde fallen. Offenbar wird also, daß Er noch jetzt die Macht hat, wie früher, über Geister und Leiber, daß Er unnahbar ist, wenn Er es sein will, daß Ihm niemand an kann, Er dulde es denn. Das muß auch offenbar werden, auf daß die freie Liebe unsers HErrn und Seine Ihm bis zum letzten Hauche und ewig einwohnende Gotteskraft außer allen Zweifel gesetzt werde. Allein so gewis Er ihnen Seine Macht und Unnahbarkeit zeigen will, eben so bestimmt und kenntlich zeigt Er ihnen Seinen Entschluß, Sich ihnen zu ergeben und gefangen mit ihnen zu gehen, wohin sie Ihn führen würden. Noch einmal fragt Er: „Wen sucht ihr?“ Er bekommt dieselbe Antwort, bekennt Sich wiederum, daß Ers sei, und schirmt nun nicht mehr Sich, sondern nur noch Seine Jünger durch Sein gewaltiges Wort: „Laßet diese gehen.“ Und nun legt man Hand an Ihn. − Petrus zieht sein Schwert, er schlägt des Hohenpriesters Knechte Malchus das rechte Ohr ab und ist bereit, noch weiter zu gehen. Wie natürlich, wenn nun die Häscher auch Petrum gegriffen hätten! Aber er ist sicher durchs Wort des Gefangenen: „Laßet diese gehen“ und durch die Treue seines HErrn, der keinen von allen verliert, die Ihm Sein himmlischer Vater gegeben hat. Geschützt ist also Petrus, aber gelobt wird er nicht für sein Thun. Hohe Worte kommen von den Lippen des Gefangenen: statt zwölf Apostel zwölf Engellegionen hätte Er, wenn Er wollte, wenn Er nicht in freier Liebe dem Rathschluß der Erlösung dienen wollte, wenn die Menschen anders selig werden könnten; aber das kann nicht sein, und so will Er auch keine Engel und keine Apostel zum Schutz; es ist nun die Stunde des freiesten Gehorsams da; Er

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/311&oldid=- (Version vom 8.8.2016)