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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Säckel hüten, daß nichts zu wenig, nichts bloß zum Schein geschehen wird. Wie ganz anders, wo die Armenpflege ein weltlich Amt, ein weltliches Gebot wird, und statt der freien Liebe das strenge Muß und die Gewalt herrscht! Da erwacht Mistrauen und Widerstreben − und der Arme wird, weil er ein Schützling irdischer Gewalt wird, zu einem Gegenstande der Abneigung, zu einer Ueberlast, vor der man sich hütet, welche aufzunehmen man sich auf alle Weise weigert, welche abzuschütteln man jedes Mittel ergreift. Ich sage nicht zu viel, ich verweise auf die Wirklichkeit, − wir erleben es allewege, daß Armenpflege unter dem Fittich weltlicher Befehle nicht gedeiht, daß sie spärlich, ärmlich, nichtig, und in ihrer Nichtigkeit überdies voll Mühe, voll Lug und List und Verschlagenheit ist. Sei Du wieder der Armen Schutz und Gewährsmann, HErr JEsu! Brich Du wieder den Armen das Brot der Danksagung! Leg es wieder in die Hände Deines Amtes nieder! Laß die Diaconen austheilen und die Aeltesten wachen, daß Dein Sinn vollführt werde! Setz Deine Armen wieder in die Vorhöfe Deiner Kirchen und die Spitäler und Armenhäuser unter Deinen Hirtenstab! Des wird der Arme sich freuen und Deine Gemeinen werden die Gabe ihrer Liebe, das Armenbrot, das Brot der Danksagung, auf Deine Altäre ungezwungen und viel reichlicher niederlegen, als es unter den Befehlen der Gewaltigen geschieht! Deine Armen werden es wieder gut und schön haben, wie in der ersten beßeren Zeit, wenn Niemand mehr „muß“, sondern der von Deinem Geist gewirkte freiwillige Sinn an Deinen Altären opfert.


 Sehet nur hin in die Wüste, wo der HErr die Speise segnet und Seine Jünger dienen! Wie gut haben es diese Darbenden an ihren grünen Tischen, bei ihrer lieben Ordnung! Sie waren sehr hungrig geworden: hätte sie der HErr ungeßen gehen laßen, so würden sie auf dem Wege verschmachtet sein. So hungrige Leute sind mit geringer Speise zufrieden und vergnügt. Der HErr hätte ihnen getrost Brot reichen dürfen und weiter nichts; sie würden dennoch Seine wunderbare, gnadenreiche Hand gepriesen haben. Aber nein! Er ist ein reicher HErr, Er gibt zur Kost die Zukost, zum Brote die Fische, zum Nöthigen das Liebliche, Er hält Seine armen Leute nicht zu kurz. Wie Er als Schöpfer so mancherlei Dinge geschaffen hat, so reicht Er als Ernährer und Erhalter Seiner Creaturen auch mancherlei Güter und Gaben dar, auf daß Seine Güte sich desto reicher erweise und unser Dank desto völliger und brünstiger sei! Mit wie viel Wenigerem könnte, wenn es sein müßte, selbst der Arme auskommen, und nun erst der Reiche! Was alles könnte man als unnöthig bezeichnen, wenn man darauf ausgienge! Aber es ist ja im Leben gar nicht davon die Rede und ist auch nicht der Wille Gottes, daß einer nur das Allernöthigste gebrauche und alles andere von sich weise. Der Gott, welcher mit so vollen Gebershänden uns entgegenkommt, will nicht, daß wir wie stolze Bettler Ihn stehen laßen und höchstens für den Hungertod nehmen. Was Er uns darreicht, das gönnt Er uns, das sollen wir nehmen, das sollen wir mit Danksagung empfangen und fröhlich darüber sein zum Preise Gottes, der alles mit Wohlgefallen erfüllt, der um Sich her eine fröhliche Kinderschaar sehen will und darum aller Welt so wohl thut. Es ist wahr, daß wir im Jammerthale, ja in einem Todesthale wandeln; wer kann das Ach und Weh der Erde zählen? Jeder Augenblick löscht ein Leben aus und keiner ist frei vom Schmerz und Thränen. Wo die einen sich freuen, trauern und jammern genug andere. Aber die Freude hat ihr Recht durch die Schöpfung und durch die Erlösung und durch die Heiligung; und die Religion des Kreuzes ist die wunderbare weise und mächtige Prophetin, die allem Schmerz, ja auch dem Tode Freuden beigibt, allen Schmerz und Jammer tödtet, und am Ende dieses Lebens, das nicht ohne Anfechtung des Jammers sein kann, die Pforten eines ewigen Freudenhimmels öffnet. Es ist darum nicht Todesvergeßenheit, nicht Vergeßenheit drückender Lebenslasten, sondern Hingabe an den Geist unsers HErrn JEsu, wenn wir jede, auch jede Erdengabe mit Danksagung, fröhlich, als Pfand und Angeld ewiger Freuden, als einen Vorboten des Landes annehmen, wo der Himmel keine Wolken und das Licht keine Dunkelheit mehr hat. Ihr Armen unsers HErrn JEsu, und das seid ihr alle, − schwelget drum zwar nicht von den reichen Gütern Seines Hauses, praßet nicht; aber nehmet und genießet alles so, daß nach dem Empfang und Genuß die Seele desto dankbarer und fröhlicher beten, loben und rühmen könne. Lernet an den Gaben Gottes, die euch zeitlich

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 050. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/389&oldid=- (Version vom 17.7.2016)