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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

werden. Ihr heiliger, siegensvoller Beruf, für alle Völker ein Licht- und Sammelpunkt zu sein, wird von niemanden erkannt und von vielen nur für lächerliche Anmaßung gehalten werden, so lange nicht unsre Versammlungen im Gebete die höchste Spitze ihres innern Lebens finden, so lange wir unsern Beruf, für alle und für alles zu beten, nicht erkennen. Wir haben im reinen Worte und Sacramente die herrlichsten Gaben; aber wir gebrauchen und erwecken unsre Gaben nicht, wenn wir nicht beten. Jedes Gotteswort, jede heilige Lehre, die Gnade des Sacramentes strahlt ganz anders in die betende Gemeine, als in eine Versammlung bloß menschlich nüchterner und menschlich zu Wort und Sacrament entschloßener Seelen. Unsere Kirche übt keine Kraft und keinen Segen nach außen, weil sie nicht betend ihrer Gaben Meister wird. Die innere Stärke andächtiger, gottverlobter Seelen, die nichts, als Gott und Sein Reich im Auge haben, nur davon leben und dafür sterben, − sie geht uns ab, und so haben wir nicht die Kraft aus der Höhe, die verlorenen Schafe JEsu aus allen Religionen und Völkern zu sammeln. Die erste Gemeinde, welche ein Quellbrunn für alle Völker wurde, blieb nicht bloß in der Apostel-Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen, sondern auch im Gebet: da wurde die Freude am HErrn, welche sie betend fand, ihre Stärke und so wurde sie was sie ward. − Darum meine Freunde, so gewis wir dankbar sind für die Gnade der Reformation, so gewis werden wir auch das Wort bei uns behalten und bewegen: „Mein Haus ist ein Bethaus allen Völkern!“ Es ist ein Wort, das zur Vollendung aufruft und uns brünstig und eifrig im Gebete machen kann. − Laßt uns beten und treu sein im Gebete, beten, daß unsre Kirche ein Bethaus, daß sie ein Bethaus aller Völker werde. Erst wenn sie für sich selbst ein Bethaus wird, wird sies für alle Völker, empfängt sie Segen und Anziehungskraft für alle.


 Ich halte hier inne − und hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt! Der das gute Werk der Reformation begonnen, wird Ers nicht vollenden? Er führt Seine Heiligen wunderlich, aber Er führt alles herrlich hinaus. Wie dir Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren, so sehen unsre Augen auf Deine Hände, o HErr! Dir vertrauen wir alles, − das Werk Deiner Hände wirst Du fördern! Den Geist der Eintracht und des Gebetes, der in uns den alten Menschen mit seinen Regungen tödtet, wirst Du geben. HErr, lehre uns beten! Amen.




Am Kirchweihfest.
Luc. 19, 1–10.
1. Und Er zog hinein und gieng durch Jericho. 2. Und siehe, da war ein Mann, genannt Zachäus, der war ein Oberster der Zöllner und war reich; 3. Und begehrete JEsum zu sehen, wer Er wäre, und konnte nicht vor dem Volk, denn er war klein von Person. 4. Und er lief vornhin, und stieg auf einen Maulbeerbaum, daß er Ihn sähe; denn allda sollte Er durchkommen. 5. Und als JEsus kam an dieselbige Stätte, sahe Er auf und ward seiner gewahr und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend hernieder; denn Ich muß heute zu deinem Hause einkehren. 6. Und er stieg eilend hernieder und nahm Ihn auf mit Freuden. 7. Da sie das sahen, murreten sie alle, daß Er bei einem Sünder einkehrete. 8. Zachäus aber trat dar und sprach zu dem HErrn: Siehe, HErr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder. 9. JEsus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, sintemal er auch Abrahams Sohn ist. 10. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist.

 ZWar hat es im Anfange des Christentums und zu den Zeiten, da unser HErr zur Gründung Seines Reiches auf Erden war, wie sich das von selbst versteht, noch keine christlichen Gotteshäuser gegeben, und man konnte deshalb für die Kirchweihtage der späteren Gemeinden keinen Text aus dem Neuen Testamente

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/523&oldid=- (Version vom 31.7.2016)