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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

geschahen. So steht heute Waßer vor Ihm und Er wandelt es um in Wein und macht denen, die es sehen und erfahren, begreiflich, daß unter Ihm, wo Er regiert, alles immer beßer geht und immer herrlicher wird. Es ist also aus allen Wundern Christi nicht bloß Seine Herrlichkeit über die Natur ersichtlich, sondern auch, daß es eine freundliche, heilsame Herrlichkeit und Gewalt ist, unter welche sich alle Creaturen fügen, daß Er alles zum Segen beherrscht. Unter allen Wundern JEsu ist kein einziges Strafwunder, denn der Feigenbaum wurde zur Warnung, also zum Segen der Menschen verflucht und die Schweine der Gadarener den Teufeln übergeben, damit Menschen verschont würden. Von dem ersten Wunder auf der Hochzeit zu Cana bis zur Heilung des Ohres Malchi in Gethsemane sind alle Wunder und Thaten des HErrn von einerlei Art. Ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, davon predigen sie alle; aber eben so laut predigen sie auch die andere Wahrheit, daß Er ein HErr ist über alles, wie Joseph ein Herr war über Aegyptenland, nemlich zum Heile seiner Brüder. Das wollen wir uns, geliebte Freunde, merken. Wir werden im Verlaufe des Kirchenjahres viele Wunder Christi zu betrachten haben. Ein jedes wird von dem andern kenntlich zu unterscheiden sein, aber das wird ihnen allen gemeinsam verbleiben, daß sie Segenswunder sind, durch welche der Mensch zu seinem Heile geführt und zugleich Beispiel und Beweis gegeben wird, wie der HErr gesonnen ist, die Natur dem Dienste der Eitelkeit zu entwenden und sie Theil nehmen zu laßen an dem Heil der Menschheit. Denn es geht der Erde, wie dem Menschen, der auf ihr wohnet: mit ihm ist sie gefallen und der ersten Herrlichkeit entkleidet, mit ihm wird sie auferstehen und zur Herrlichkeit erneuert werden, und wenn die Kinder Gottes dermaleins offenbart werden, dann wird ihnen der HErr auch ein Paradies erbauen und zu eigen geben, das ihrer würdig sei, in dem sie wohnen werden wie der helle Mond in lichten Wolken.


 Von der Erhabenheit JEsu über alle Menschen und insgemein über alle Creaturen haben wir gesprochen. Dabei haben wir Ihn nicht also über alle Dinge erhaben erfunden, daß Er auf hohem Throne das verachtete, was unter Ihm wohnet. Er bleibt zwar über allen Menschen und weiß von keinem Rechte, das irgend wer außer Ihm auf Seines Vaters Thron besäße. Er setzt selbst Seiner Mutter einen Stuhl nur an Seines Thrones Stufen. Aber eben damit gibt Er ihr, was ihr seliglich genügen kann; eben damit bereitet Er ihr himmlisches Glück. Und was die andern Geschöpfe anlangt, so verklärt Er sie durch den Gebrauch, den Er von ihnen macht, und indem Er sie zu Spiegeln Seiner Ehren erhebt, befreit Er sie bereits vom Dienste der Eitelkeit. Gerade so ist es mit der Ehe, von der wir noch insonderheit zu reden haben. Sie ist eine Vereinigung der Leiber, gestiftet von dem Schöpfer aller Leiber am ersten Lebenstage Hevas. Sie ist bei den allermeisten Völkern heimisch, aber der Sinn der meisten Völker hat sie auch gemein und unrein gemacht. Da kommt Christus und weiht sie wieder, nennt sich einen Bräutigam und die Kirche Seine Braut und will, daß die leibliche Vereinigung ehelicher Menschen ein Bildnis der wunderbaren Vermählung sei, die zwischen Ihm und Seiner Braut besteht. Er spiegelt sich in jedem Ehemann und Seine Braut in jedem Eheweib und der unverbrüchliche, ewige Liebesbund zwischen Ihm und ihr in jeder zeitlichen Ehe. Und alle Eheleute sollen das wißen, und ihre Liebe soll sein wie die des HErrn zur Gemeine und der Gemeine zu ihrem HErrn. So soll es sein und so soll, was leiblich ist, verklärt werden zu Geist, und die Ehe soll selbst in ihrem Leiblichen geistlich werden, soll und kann es.

 Zwar unser HErr lebte nicht selbst in einer zeitlichen, irdischen Ehe. Dieß wäre die größte Verherrlichung der Ehe gewesen. Allein wo hätte sich in aller Welt für diesen Adam eine ebenbürtige, Seiner würdige Heva gefunden; welche Ehe wäre für den Menschensohn möglich gewesen außer der einen mit Seiner Braut, der Kirche, − dieser wahrhaftigen, ewigen Ehe, vor der jedes Vorbild erbleicht? Auch war Er nicht Mensch geworden um auf natürlichem Wege ein reines und heiliges Geschlecht zu erwecken und mitten unter Sündern ein sündloses Volk zu stiften, sondern um das vorhandene Geschlecht von Sündern zur Buße, zur Wiedergeburt, zur Erneuerung zu bringen. Dazu aber bedurfte es keines Lebens in der Ehe, darin hätte Ihm das Leben in der Ehe nichts genützt, auch wenn eine irdische Ehe Christi unter die Möglichkeiten gehörte. Je weniger es nun in

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 076. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/87&oldid=- (Version vom 22.8.2016)