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und wird durch Seine Kräfte ermächtigt, das Gute zu thun. Es ist einem dann keine Plage, etwas zu thun, was Gott gebot; sondern es ist einem Lust und Freude – denn man hat dann an eben dem Lust, woran Gott Lust hat. – Was hilft’s zu predigen, daß man sein Fleisch kreuzigen solle samt den Lüsten und Begierden, wenn das Herz nicht zuvor mit Gott vereinigt ist? Wo hat jemals einer in eigener Macht seine Lüste und Begierden in sich gedämpft? Es ist eine Unmöglichkeit für den Menschen, Gottes Wort zu erfüllen durch eigene Kraft, es hilft kein Treiben dazu, und ist darum in der Welt nichts unnützer, als das Moralpredigen. Man hat nun in Deutschland seit Jahrzehnten immer Moral gepredigt, die Kräfte des Menschen gereizt, alle nach Gottes Wort unreinen Beweggründe des Ehrgeizes und Vorteils aufgeboten, und es ist damit zwar in Künsten und Gewerben weiter gegangen, aber in der Moral dahin gekommen, daß in dem verwichenen Jahre eine ganze Menge von Büchern herausgekommen sind, in welchen ganz ohne Hehl, ganz offen und nackt und obendrein systematisch behauptet und gelehrt wird, die Ehe und die Religion seien Pfaffentrug, und Tugend sei es, sich an die Bande der Ehe, der Religion, des Gewissens nicht mehr zu kehren, frei und frech sich allen Lüsten seines Fleisches hinzugeben; denn das Fleisch müßte frei werden. So weit ist’s mit der Kreuzigung des Fleisches, seiner Lüste und Begierden bei denen gekommen, welche von dem alten Glauben gewichen sind; so wüten nach so viel Moralpredigten die Lüste und Begierden, daß sie thun, was unerhört ist in der Christenheit, die Heiligkeit der Ehe antasten und die Trösterin der Väter, die ewige Religion. So ist’s geworden. Wohingegen der Mensch im Glauben sich zu Gott gewendet hat, mit Ihm durch JEsu Verdienst vertraut wurde, da löschte der Strom der himmlischen Gnade die Glut der Lüste aus – und mit sanfter Züchtigung führte der Geist des HErrn die Gläubigen dahin, daß sie keusch und züchtig leben, aber nicht wie die Heuchler, die sich seufzend der Welt enthalten, sondern mit Freuden lassen sie, was ihrem Fleische wohl thut, aber