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jene stilleren, größeren, für unser ewiges Leben bedeutenderen, wenn ER in Seiner Niedrigkeit die Welt und ihren Fürsten überwindet, wenn ER am Kreuz unser Kreuz beendet, im Sterben unsern Tod verschlingt, im Grabe uns eine Hoffnung, in der Auferstehung eine Gerechtigkeit des ewigen Lebens bereitet! Aber doch, Brüder, sind die Verwunderungen ebensowenig das Beste in unserm Glaubensleben, als die Wunder das Größte und Beste im Leben und Sterben JEsu sind. Es ist eine große Thorheit, wenn die ungläubigen Menschen sich damit über ihren Unglauben zu trösten versuchen, daß sie ja keine Wunder mehr sähen, wie die ersten Christen, und deshalb auch nicht, wie diese glauben könnten. Was haben den Leuten zu Seiner Zeit die Wunder geholfen? Eine kleine Zeit dauert das Wundern, dann dürstet man nach neuen Wundern, wie ein herabgekommenes Geschlecht, das nichts Besseres weiß, täglich nach neuen, täglich nach frappanteren Schauspielen dürstet!

 Nicht Seine Wunder haben die Welt bekehrt, nicht Seine großen, auch unter uns geschehenen Thaten sind es, welche die Herzen fesseln. Nicht der Ausruf: „Was ist das für ein Mann!“ sondern der Ausruf: „Seht, welch ein Mensch!“ – Seine sterbende, bis zum Tod erniedrigte Liebe zu uns – Seine Treue ohnegleichen – und die Seele aller Seiner Thaten, aller Seiner Leiden, das Wörtlein „für uns“, das bekehrt, das fesselt die Herzen wahrhaft und für immer.

 Es ist eine heilige Lust des Christen und ihm erlaubt, daß er seines HErrn Leiden und Wunder sich vergegenwärtige! Ja, in diesem entnervten Geschlecht muß ein Prediger fast, will er anders seine Zuhörer zur Aufmerksamkeit bewegen, ihnen die Worte und den Wandel seines HErrn vor die Augen malen, je lebendiger, desto besser! Aber alles das ist nur im Vorhof – im Tempel steht das Kreuz, das blinkt auf dem Altar; das Marterbild steht uns vor Augen, und das Wörtlein: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab“ ist drüber hin geschrieben!