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nicht Sein Herzblut schonte, da ER Macht hatte, Sein Leben zu lassen und zu nehmen; bittet ER, der für uns das Gesetz vollbrachte, die von uns verwirkten Strafen des Gesetzes trug, und büßte an Leib und Seele, – der mit solcher Liebesarbeit des ewigen Vaters Herz und Meinung traf, der auch deswegen der Sohn des Wohlgefallens und der Liebe ist und heißt, – bittet dieser, so ist nicht zu zweifeln, daß Sein Bitten in unaussprechlicher Gnade den versöhnten Vater zu den Sündern neigen, daß es zur Versöhnung wirksam, daß es versöhnend sein werde. Gottes Sohn ist Gottes Lamm, der Heilige Gottes unser Opfer, Priester, Fürbitter; wahrlich, wahrlich, das ist Gnade über Gnade – eine Liebe Gottes, in deren Betrachtung verloren selbst der, der sie übt, erstaunt ausrufen muß: „Also, also hat Gott die Welt geliebt!“ – eine Liebe, welcher zu Ehren die endlosen Lieder der Seligen im Himmel gesungen werden, – eine Liebe, welche nur von dem entarteten Gemüte vergessen bleiben kann, welche zu vergessen Sünde ist, in deren Andenken St. Paulus ruft: „Wer unsern HErrn JEsum Christum nicht lieb hat etc.“ Aber o ewiger Hoherpriester, sehr entartet ist Deine Welt! Sehr vergessen bist Du, der keinen vergißt, sehr unwert geachtet, für dreißig Silberlinge alle Tage verkauft, von einer zahllosen Menge! Denn ach, Deine Heiligen haben abgenommen, und der Gläubigen ist weniger geworden auf Erden!


IV.

 Die Fürbitte unseres himmlischen Hohenpriesters ist eine doppelte, eine allgemeine und eine besondere. Die allgemeine trägt diesen Namen, weil sie sich auf alle Menschen erstreckt. Denn wie ER für alle Menschen gestorben und durch Seinen Tod ein Opfer geworden ist, so bittet ER auch für alle – und wie man mit St. Paulus sagen kann (1. Tim. 2, 6): „ER hat sich selbst gegeben für alle zur Erlösung,“ so können wir getrost sagen: „ER hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe, ein Fürbitter für alle!“ Wenn ER aber ein Fürbitter ist für alle, so ist ER auch ein Fürbitter für die, welche unbekehrt sind und dahinleben in dem Gedanken,