Seite:Wilhelm Löhe - Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres.pdf/274

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Denn in Christo Jesu gilt nicht mehr Beschneidung, noch Vorhaut, keine Vorzüge, die man von Natur hat, kein Stolz auf Eigentum, sondern allein eine neue Kreatur. Die neue Kreatur ist nichts anderes, als der Glaube, der in Liebe thätig ist. Den Glauben wirkt der heilige Geist durch das Wort des Kreuzes, durch die Predigt des heiligen Evangeliums. Kein Mensch kann von eigener Kraft an Christum glauben, kein unbekehrter Mensch, kein Mensch, welcher noch nicht neu geboren ist, glaubt. Denn der Glaube ist nicht jener Wahnglaube, da man etwa die Geschichte von JEsu Leiden und Sterben für wahr hält, für möglich, sie nicht in Abrede stellt, nicht darüber streitet, sie in ihren Würden und Ehren läßt, sondern der Glaube ist jene Gotteskraft, die das Herz erleuchtet, daß es Christum erkennt als den einzigen liebenswürdigen Heiland, der alle Gedanken und Sinne des Herzens auf Ihn, den Unsichtbaren richtet, als sähe man Ihn, der ein Vertrauen auf Ihn bewirkt, welches felsenfest ist, ein Vertrauen, eine solche Gewißheit, daß man in Ihm angenommen, der ewigen Seligkeit teilhaftig ist, daß eine heilige Liebe zu Ihm entbrennt, daß es einem nicht mehr Plage ist, sondern Lust und Freude, Seinen heiligen Willen zu vollbringen. Der Glaube ist thätig in heiliger Liebe, und weil er in JEsu Nähe, in JEsu Umgebung bringt, so macht er auch JEsu ähnlich, daß man wird, wie ER, daß man seinen Lebenslauf möglichst nach dem Seinigen einrichtet, von dem es heißt: „Er ist umhergezogen und hat wohlgethan!“ Der Glaube macht ganz andere Menschen, er macht klein alle Wichtigkeiten der Welt und groß alle kleinen Pflichten der Liebe; er macht treu in Erfüllung der auferlegten Pflicht und lehrt alle Dinge genau nehmen, auf daß man im Kleinen treu werde und nicht als einer erfunden werde, der selbst nicht treu im Kleinen, zum Großen untauglich ist. Der Glaube fängt von innen an, nicht von außen, er macht ein gutes und neues Herz, nimmt die Furcht weg vor Gott, gießt Liebe ein, reinigt von böser Begier und lehrt in Wahrheit beten: „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir.“ Der Glaube nimmt das Vergnügen zu dem, was weltlich ist,