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als stände ihm Gott leibhaftig gegenüber und antworte ihm auf alle seine Fragen, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. Nach solchen Gebeten steht der Mensch auf von seinen Knieen, wischt sich die Thränen aus den Augen, spricht: „Ich glaube, ich glaube. Ich habe ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen.“ – Aber ach! oft kam eine solche Stunde vorher, weil Gott Sein Kind stärken wollte auf eine Stunde der Angst, welche gleich nachfolgen sollte. Zwischen dem brünstigen Gebete und der Anfechtung, ja, zwischen der Freude der Erhörung und der höchsten Seelenangst ist oft nur ein Stündlein. Wenn dann die böse Stunde kommt, dann fallen dem Menschen die Arme am Leibe herab vor Erstaunen über den Gott, der Seine Heiligen wunderlich führt. Da kommen einem Zweifel, ob man auch wahrhaftig bekehrt sei, ob die Freudenstunden, die Gebetsstunden, die erste Liebe zum HErrn, ob nicht überhaupt das Christentum, die Versöhnung, der HErr, Gott selbst – Traum und Faum sei. Der Geist der Lästerung erfüllt das arme Herz – und da es vor einer Stunde ein Tempel Gottes schien, ist’s auf einmal eine Mörderhöhle des Satans geworden. Eine unnennbare Angst ergreift uns. Da heißt es: O daß ich Flügel hätte, wie die Tauben, daß ich entflöhe und etwa bliebe! Ja, Flügel der Morgenröte wünscht man sich, um solcher Angst zu entrinnen, – das Wasser geht bis an die Seele, man meint, der Glaube sei nun in uns bereits gestorben und begraben. – Was thut man dann in solchen Nöten Johannis des Täufers? Was ist da zu raten? Antwort: Man macht es, wie der Täufer: man geht eben zu dem, an welchem man zweifelt – man ruft Ihn an und spricht: „Dich meine ich, JEsu, Du entflohene Sonne meiner Gerechtigkeit, Du Licht der Albernen, König der Wahrheit: – ich seh’ Dich nicht, fühl’ Dich nicht; – aus der Tiefe rufe ich, HErr, zu Dir: antworte mir, daß es meine Seele in ihrem innersten Grunde verstehe; bist Du’s denn? bist Du denn mein JEsus, mein Licht, meine Sonne? Siehe, mein Glaube stirbt: bist denn Du mein Licht? Bist Du, der da kommen soll, ein Licht und Trost Deines Volkes Israel?“

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