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heiligen Geistes, in denen sie hernach ihr ganzes Leben Gott zum Preis verzehren ließen. Zur Festpredigt paßt der Text ganz wohl, weil er so schön den Hauptgrund enthält, der uns zum Danken gegen Gott ermuntern soll, nämlich: „weil des HErrn Barmherzigkeit ewig währt.“

 Ich nenne diesen Grund den Hauptgrund, nicht nach dem Urteil meiner Vernunft, sondern weil er in der heiligen Schrift an so vielen Stellen wiederholt wird, daß ich denken muß, die Schrift wolle ihn selbst als den Hauptgrund darstellen. Bei diesem Hauptgrund, bei der ewigen Barmherzigkeit unseres Gottes, laßt uns nun zuerst still stehen.

 Gott ist ewig, darum sind auch alle Seine Eigenschaften ewig. Seine Gerechtigkeit, Seine Heiligkeit, Sein heiliger, gerechter Zorn, aber auch Seine Barmherzigkeit währet ewiglich. Dieser Seiner Barmherzigkeit erfreuen wir uns. Was wären wir ohne sie? Was würde aus der Menschenwelt werden, wenn sie, bei dem lodernden Zorne Gottes über alles Böse, nicht von den milden Armen Seiner Barmherzigkeit in Christo JEsu umfangen und geschützt würde? Ohne sie wären wir hier auf Erden unaussprechlich elend, dort im Himmel ewig, ewig verloren, von allen guten Engeln, von aller seligen Gesellschaft, von Gott verlassen, wie Christus am Kreuz. Denn was wir in der Beichte so oft schon bekannt haben, das ist wahr, unumstößlich wahr: wir sind in Sünden empfangen und geboren, haben wider Gott und unsern Nächsten bis auf diese Stunde vielfach gesündigt und damit verdienet zeitlichen und ewigen Tod. Ja, der Unbekehrte thut – schrecklich, schrecklich! – nichts als Sünde, weil alles Sünde ist, was nicht aus dem Glauben kommt, und auch unter den Heiligen ist kein Reiner. Wer das nicht anerkennt, nicht in tiefer Beugung darin Gott recht giebt, der kann auch heute nicht recht mit uns danken, weil sein Danken nicht aus der Tiefe kommt. Denn es steht geschrieben: „Aus der Tiefe rufe ich, HErr, zu Dir!“ das ist, aus einem trauernden, tief gedemütigten Geist. – So stehen und gehen wir also im tiefen Thal des Jammers und der Thränen, und der selige Himmel ist hoch über uns. Kein Sehnen nach jener Seligkeit vermag