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reden wir von uns nicht mäßiglich. Gehen wir aber unter Menschen oder auf Reisen, wie plagt uns dann erst die Versuchung zur Eitelkeit und Prahlerei! So wie viele auf die Reise beßere Kleider anziehen und damit den Schein annehmen, als wären sie wohlhabender und reicher als sie sind; so nehmen wir auch auf der Reise gerne eine andere Haltung, einen anderen Gang, im ganzen Leben eine andere Art, auch eine andere Sprache an, um bei den Reisegenoßen die möglich beste Meinung von uns zu erwecken. Besonders aber, wenn wir veranlaßt werden, von unserer Heimath, unsrer Stellung dortselbst, unseren Besitze, von unsern Verwandten und Freunden zu reden: da geht oft der Mund über, wir schreiten über alles Maß und beladen unser Herz und Gewißen mit Staub, Heu und Spreu eines lügnerischen, heuchlerischen und prahlerischen Wesens. Oder umgekehrt, um dem Vorwurf der Eitelkeit zu entgehen, werden wir allzu stille, oder verkleinern, was uns der HErr, unser Gott, in diesem Leben gegeben hat. Während wir die Wahrheit verleugnen, tröstet sich unser Herz mit dem trügerischen Wahne, demüthig gewesen zu sein. So sind wir dann hochmüthig auf erwiesene

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Wilhelm Löhe: Raphael. U. E. Sebald’sche Verlagsbuchhandlung, Nürnberg 1862, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Raphael.pdf/65&oldid=- (Version vom 1.10.2017)