Seite:Wilhelm Löhe - Raphael.pdf/66

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Demuth, wenn es nemlich wahr wäre, daß wir Demuth erwiesen haben. Als ob die Demuth wider die Wahrheit stände! Als ob die Bescheidenheit löge und sich mit kleineren Maßen meßen dürfte als recht ist! – Wie manchmal habe auch ich mein Herz auf die eine oder die andere Weise betrogen! Diese häßliche Schuld der aufgeblasenen oder verschloßenen Eitelkeit wollest Du mir gnädiglich vergeben um des vollkommenen Mannes willen, der auch in keinem Worte fehlte. Wollest mir auch Seinen Geist der Wahrheit verleihen, daß ich mein Maß erkenne, mich desselben bescheide, gerecht und mäßiglich denke und dann auch rede. Ich bitte dich nicht um die Kraft, mein stolzes Herz zu bezwingen, daß ich nicht hoffärtig und eitel mich benehme oder rede; sondern ich bitte Dich um Aenderung meiner Seele, daß ich keine Freude an eitler Lüge habe, mühelos und gerne die Wahrheit sage, und mit Freuden darnach ringe, immer und überall so zu sein und zu reden, wie es meinem Maße entspricht. Befreie mich von der Thorheit, mich in der Nähe anderer wegen geringen Standes oder Kleides oder anderer dergleichen Dinge gedrückt zu fühlen oder zu schämen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Raphael. U. E. Sebald’sche Verlagsbuchhandlung, Nürnberg 1862, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Raphael.pdf/66&oldid=- (Version vom 1.10.2017)