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 Indem ich diese fünffache Unterscheidung hieher schreibe, ahne ich wohl, daß man mich an manchem Orte der Anmaßung oder irgend einer andern Untugend zeihen wird. Allein die Absicht dieser Unterscheidung, sowie des ganzen Aufsatzes, den ich hiemit vorlege, ist denn doch keine andere, als meinen kleinen Beitrag zum Siege der Wahrheit zu geben und dadurch zugleich das Meinige zur Vereinigung unsrer Brüder in Nordamerica zu thun. Wo ich irre, will ich mir gerne Zurechtweisung gefallen laßen; gegen den Vorwurf bösen Willens aber müßte ich mich verwahren. Ich sehne mich, meine Brüder in Nordamerica einig zu wißen; aus dieser Sehnsucht kommen diese Blätter, und es würde Mir wehe thun, wenn irgend jemand dies mein Schreiben anders nehmen wollte, als für einen Versuch, einen gerechten Mittelweg aufzuzeigen, den beide Theile betreten könnten.

Ad a.

 Hierher rechne ich namentlich die Punkte 1. vom Gebrauch der alten lutherischen Kirchenordnungen und 2. von dem geistlichen Priesterthum aller Christen. Mag auch, was den Gebrauch der KOO. betrifft, Herr P. Grabau hie und da in Worten etwas zu weit gegangen sein, wie er denn auch selbst zugibt, daß er beßer gethan hätte, das Göttliche und Menschliche in den Kirchenordnungen ausdrücklich zu unterscheiden; so muß man doch auch anerkennen, daß er im Verlauf der Zeit nicht blos durch dieses Zugeständnis, sondern auch durch sonstige Erklärungen und Beschränkungen diesen Mangel erstattet hat. Daß der Mangel nicht in der Erkenntnis, sondern nur in der Darstellung lag, ist einem solchen Manne völlig zuzutrauen. – Andererseits vervollständigte sich das Urtheil der sächsischen Freunde im Verlauf des Streits so sehr, daß es in seinem Unterschied vom Urtheil Grabaus nur als Ergänzung aufgefaßt zu werden braucht. Weder wird Grabau leugnen, daß der christlichen Freiheit zu nahe getreten wäre, wenn man die Gewißen an irgend eine menschliche Kirchenordnung binden würde[1]; noch werden die Sachsen Grabaus Wunsch, daß Eine Ordnung alle lutherischen Gemeinden umfaßen möchte, misverstehen und die Wahrheit verkennen wollen, die in dem Wunsche liegt.[2] So wenig eine KO. dem hohen Artikel von der Rechtfertigung allein aus Glauben zu nahe treten darf; so wenig kann geleugnet


  1. „Gesetzt auch, es wäre möglich, die ganzen (? das meinte auch Grabau nicht!) alten KOO. in Eine zu verschmelzen und sie unter uns einzuführen; so wäre der Schade unleugbar größer als der Gewinn, wenn auch nur einigermaßen gelehrt würde, daß sie eine Verbindlichkeit haben, ja wohl gar, daß man auf diese und keine andere Weise die Kirche verwahren und Gott wahrhaft dienen könne und müße. Denn dann träfe uns das strafende Wort des HErrn Matth. 15, 9.: „Vergeblich dienen sie mir, dieweil sie lehren solche Lehren, die nichts denn Menschengebote sind.“ Der Weg des Glaubens würde, wie bei den Galatern, wenn auch immerhin gelehrt, doch zu gleicher Zeit auch wieder verkehrt und die christliche Freiheit untergraben, wovor uns Gott in Gnaden verwahren wolle.“ p. 26.
  2. „Wollte Gott, wir hätten alle einerlei gute Ordnung, wie schon Churfürst August von Sachsen 1580 dieselbe in Deutschland durch eine brüderliche Vergleichung aller dortigen Landeskirchen beabsichtigte, welcher Plan aber durch die vielen nachfolgenden kirchlichen und politischen Drangsale verhindert wurde.“ p. 42.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/101&oldid=- (Version vom 1.8.2018)