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den andern beeinträchtigen soll. Die Freiheit von Menschenleben und Menschensatzungen, die Freiheit, in persönlichen Dingen selbst zu beschließen, Rath zu suchen, wo man ihn bedarf, ihn nicht zu suchen, wo man ihn nicht bedarf, – dazu die ganze Weitschaft der christlichen Freiheit gehört ja zu den Gütern, für deren rechten Brauch der Mensch durch die Kirche erzogen werden soll. Der nicht Freiheit hat, der erkannten Wahrheit von innen heraus die Folge im Leben zu geben, – der sich nicht selbst bestimmen darf, lernt gewis auch den rechten Gehorsam gegen das Amt nicht, welcher ganz und gar auf der wunderbaren, allerdings geheimnisvollen, aber dennoch den Menschen gegenüber freien Hingebung des Herzens an erkannte göttliche Wahrheit und Gebote beruht. Ich kann mir’s denken, daß freie, sehr selbstständige Christen nichts ohne ihren Pfarrer thun; da ists aber nicht Gebot, sondern Vertrauen, das sich nicht erzwingen läßt, – ein Vertrauen, das am dauerhaftesten der findet, der keinen Anspruch auf persönliche Geltung macht.

 Es ist eine bekannte Sache, daß Ceremonien, Kirchen- und Schulordnungen, welche den Gemeinden ohne ihre Ueberzeugung aufgedrungen werden sollen, entweder gar nicht zu Stande kommen, oder doch ohne den beabsichtigten Einfluß und Segen bleiben. So ist der Mensch; es ist zuweilen zu beklagen; es ist aber auch zuweilen ein Zeichen, daß noch Kundschaft da ist von dem besten Wege, zu gemeinsamen Zielen zu gelangen, nemlich von der freien Zusammenstimmung der Seelen. Ist aber auf dem Gebiete kirchlicher Ordnungen diese Erfahrung alle Tage zu machen, und schützt Gott die – seis auch schwachen – Gewißen der Christen durch sein Wort, durch die Lehre von Menschengebot und Menschensatzungen in ihrem Rechte: wie viel mehr wird es der Fall sein in Dingen, welche ins bürgerliche oder häusliche Leben des Christen einschlagen und nicht wider Gottes Wort sind? Gerade auf dem Gebiete des nicht Verbotenen hört die Verantwortung vor Menschen auf und beginnt der stille innere Gehorsam und die Verantwortung vor Gott allein. Dahinein mische sich ungebeten keiner. Lehrt die augsburgische Confession, daß der Mensch „einiger Maßen“ einen freien Willen habe, so taste man auch dies übrige Maß nicht an.

 Daß eine Gemeinde mit ihrem Pastor ein Abbild der mit dem allerhöchsten Oberhaupt verbundenen Kirche im Ganzen und Großen sein soll, – daß die Verbindung zwischen beiden keine zufällige, sondern eine von Gott gewollte, heilige sei, so daß kein ἀλλοτριοεπισκοπός hineingreifen und scheiden dürfe, ist gewis, Alles, was die Schrift vom Verhältnis zwischen Weitesten und Gemeinden sagt, deutet drauf hin. Und wer nun dies Verhältnis durch Ungehorsam gegen Gottes offenbares, unmisverständliches Wort und gegen den Diener, der es predigt, bricht und zerreißt, wer deshalb nach vergeblicher Anwendung der gradus admonitionum excommunicirt wird, der ist freilich nicht bloß von seiner Ortsgemeinde, sondern von der ganzen Kirche excommunicirt und kann auch von keinem Pfarrer vor gethaner Buße und Versöhnung mit seiner Gemeinde und deren Pastor auf- und angenommen werden; sonst hat der aufnehmende Pastor gleiches Loos mit

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)