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wie sie P. Grabau unverholen ausspricht, kann jeden Falls zu großen Mißgriffen, zu einer gewissen Tyrannei, ja zu Hierarchie im schlimmen Sinne führen! – „Gehorchet euern Lehrern gewis“, gewis, aber in dem, was sie als Lehrer aus Gottes Wort zu euch sprechen! Ὑπείκετε, folget ihnen, – natürlich in allem, was ihres Amts ist! Aber weder sind sie Obrigkeit, noch sind sie Gemeindeversammlung oder Hausväter im Großen, daß sie über das Zeitliche der Unterthanen beschlößen! Es gibt eine Grenze, wo selbst Apostel ihre Auctorität beschließen: sie beginnt, wo der zeitliche Besitz anfängt und nach dem 7. Gebote die freie, barmherzige Liebe Herrin ist. Der von der Gemeinde gewählte Diaconus ist es, der, obschon im Einklang mit dem Presbyterium, über die freie Liebesgabe der Gemeinde waltet. In dem Ihren redet die Gemeinde mit allem Recht ihr Wort.

 Hier möchte ich gerne mein Angesicht vor Herrn P. Grabau verhüllen. Ich wollte fast lieber, daß ich Unrecht hätte, als er. So, wie es steht, weiß ich aber nichts zu thun, als brüderlich, inständig zu bitten, daß er von jener der ganzen schriftmäßigen Auffaßung des Wortes Ebr. 13, 17. widersprechenden Deutung abstehen wolle. Wie gönne ich dem Manne, bei dem ich so viel helle Erkenntnis, so viele der americanischen Kirche nothwendige Weisheit finde, daß all sein Denken und Thun dem Worte völlig getreu sei! „Gehorsam in allem, das dem Worte Gottes gemäß ist“ – diese kleine Aenderung, und ich denke, es ist“ seinerseits das Haupthindernis einer herzlichen Vereinigung mit seinen Brüdern in Missouri gestürzt. Mögen dann die Brüder in Missouri ihrerseits der Wahrheit Raum geben und jede der kirchlichen Demokratie entgegenkommende Aeußerung fortan heiligen Ernstes vermeiden. Einen Schritt von der äußersten rechten Grenze und einen von der äußersten linken Grenze hinweggethan, und es kann Friede werden. Denn was weiter scheidet, kann füglich als noch schwebende Sache, als offene Frage innerhalb der lutherischen Kirche betrachtet werden. – Davon reden wir jetzt.

Ad e.

 Daß das heilige Amt göttlichen Befehl und Einsetzung habe, darin stimmen Grabau und die sächsischen Pastoren zusammen (S. p. 71. 72.), und obwol ein wenig darüber gestritten wird, ob es ein Dienstmittel sei, durch welches Gott mit uns handelt, oder ob es das nicht sei (p. 44.); so finde ich doch auch hier – Ungleichheit im Ausdruck abgerechnet – kein wesentliches Auseinandergehen. Dagegen ists offenbar, daß rücksichtlich des Eintritts in das heilige Amt die Ansichten verschieden sind. Beide Theile stimmen in dem Ausspruch der augsburgischen Confession Art. 14., daß niemand das Amt verwalten könne, als ein rite vocatus zusammen. Zu diesem rite vocatum esse rechnet Grabau Vorbereitung, Tüchtigkeit, tentamen, Wahl, öffentliches Bekenntnis, Ordination, Installation. Nun werden beide Richtungen leicht über Vorbereitung, Tüchtigkeit, tentamen, Wahl, Bekenntnis und Installation übereinkommen, das aber fragt sich, ob die Ordination zum rite vocatum esse gehöre, ob sie überhaupt nöthig sei oder nicht. Diese Frage ist geradezu der hauptsächlichste Streitpunkt zwischen den beiden Fractionen, und es wird am besten sein, die divergirenden Ansichten neben einander zu stellen.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)