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zum Zusammenstoß. Es müßte ja schlimm gewesen sein, wenn zwei Kreise von ausgeprägter Verwandtschaft sich gegenseitig so vollständig ignorirt hätten, daß keiner die hervortretende Eigentümlichkeit der andern wargenommen hätte. Was sich in so hohem Grade anzieht, beobachtet sich scharf und wird auch die bemerkten Unterschiede mit ganzem Ernste sichten. So hat sich denn auch wirklich zwischen der sächsischen und grabauischen Richtung ein nicht geringer Hader erhoben, – ein Hader, der sich in Nordamerica, wo sich alles frei entwickeln kann, um so gewisser erheben und zur Beilegung aufrufen mußte, als die protestantische Vorzeit niemals sich der obschwebenden Frage mit derjenigen Hingebung gewidmet hat, deren sie werth ist. – Indem ich mir erlaube, demjenigen Freundes- und Bruderkreise, welcher von dieser Schrift Notiz nehmen wird, den americanischen Hader vorzulegen; wird es nicht lange verborgen bleiben, daß es hier einen Kampf gilt, welcher sein Echo diesseits des Oceans findet und in dem Maße mehr finden wird, in welchem die lutherischen Kirchen Deutschlands mehr in den Fall kommen, für ihre Gestaltung und Verfaßung freier und selbstständiger zu sorgen. Einerseits meine Aphorismen und so manche mit denselben übereinstimmende Sätze im Catechismus des Herrn Professor Delitzsch („vom Haus Gottes“), dazu die unverholene Ueberzeugung so manches im Amte stehenden Mannes von unbezweifelter kirchlicher Treue, – anderer Seits der bekannte Aufsatz von Herrn Professor Hofmann in der Erlanger Zeitschrift, der wohl auch einer ganzen Partei aus der Seele geschrieben sein mag, – außerdem vielleicht manch anderer ähnliche Conflikt innerhalb kirchlich-lutherischer Kreise, – deuten wohl auf eine doppelte Richtung der lutherischen Kirche auch diesseits des Oceans hin. Zwar gesteht man sich kaum noch den Dissensus oder sucht ihn auf die Bestrebungen einiger unruhiger Köpfe zu reduciren; aber es wird sich wahrscheinlich doch je länger je mehr anders herausstellen. Es hat jede Frage ihre Zeit, wo sie sich nicht mehr zurückdrängen läßt, sondern sich geltend macht, bis man sie gelten läßt und nach Würden erledigt. Bei solchen Entwickelungskämpfen ist je und je Segen gewesen, und aus dem, durch Ungerechtigkeit der Parteien oftmals heißen Kampfe kam am Ende die friedsame Frucht der Gerechtigkeit, die reine Lehre über den strittigen Punkt. Der selige P. Löber sagt p. 7. der nun bald zu erwähnenden Schrift ganz richtig: „Das ist der Segen von allen Kämpfen und Streitigkeiten in der christlichen Kirche und die verborgene Weisheit unsers Gottes, daß er auch aus den bittern Wurzeln, die der leidige Satan unter den Christen aufwuchern läßt, für alle, die der Wahrheit ihr Ohr öffnen, eine gar süße Frucht gereifterer Erkenntnis und festeren Glaubens hervorbringen kann.“ – Vielleicht werden wir uns am Beispiel der americanischen Brüder klarer; vielleicht schenkt uns Gott zum Heile der ganzen Kirche schriftgemäße Einigkeit! Jedenfalls können wir aber einsehen lernen, daß die americanische Kirche, so jung sie ist, in Folge ihrer größeren Selbständigkeit uns in praktischen Fragen und Kämpfen voraneilt, obwol viele unter uns den americanischen Brüdern eine Art von unverdienter Ehre anzuthun glauben, wenn sie dieselben im Vergleiche mit unsern Confusionskirchen für ebenbürtig erachten.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)