Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 2.pdf/103

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Blicke ihre Enkel in feierlicher Abschiedsstunde und ihre Kinder. Einer nach dem Andern trat vor sie und empfieng die redenden, feierlichen, innigen Blicke, die von Vermahnung zu Gott und seinem heiligen Worte trieften. Ihre eigentliche Kampfzeit begann am Nachmittag des Dienstags, und unmittelbar vor dieser ernsten, schweren Zeit that ihr Gott, wie geschrieben steht: „Erquicke mich, ehe ich hinfahre.“ – Das war die letzte, feierliche Zeit des Vermahnens und der gegenseitigen Freude im HErrn.

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 Und wie das wahr ist, daß sie im Bekenntnis des wahren Glaubens lebte; so war sie auch die treueste Anhängerin und Liebhaberin der Gnadenmittel. Die Gemeinde Fürth ist die größte im Königreich. Aber ist wohl in dieser großen Gemeinde noch eine Christenseele, welche – und das je länger je mehr – das Wort Gottes mit solchem Eifer suchte, so regelmäßig, so wachsam und, was hervorzuheben, so vorbereitet suchte? Sie gieng bereitet zum Gotteshaus, – das Vorläuten des Gottesdienstes hieß bei ihr: „Wach auf, meine Ehre, wach auf, Psalter und Harfe.“ Der Höhepunkt im ganzen Leben war ihr aber der Genuß des heiligen Sacraments. Wer sah die greise Jüngerin gesammelt und voll Ehrfurcht zum Altar gehen, ohne gerührt bekennen zu müssen: Das ist eine bereitete Seele! Ihr letzter Abendmahlsgang dahier war ihr ein seliger Feiergang – und der Genuß desselben auf dem Sterbebette ein Anfang der Verklärung. Sie nahm den Kelch des Heils, wie wenn sie hätte sagen wollen: „Ich will den heilsamen Kelch nehmen und den Namen des Herrn verkündigen.“ Sie hielt ihn selbst in ihrer Hand und zog ihn an sich. Der HErr hatte nicht blos ihre Sprachwerkzeuge, sondern auch die des Schlingens gelähmt; sie lebte seit vorigen Sonnabend ohne alle Nahrung und ohne Erquickung, außer daß ihr ein paar Male der HErr in Gnaden verlieh, einige Tropfen Wasser oder Saft von Früchten zu

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)