Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 2.pdf/105

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Gabe und Gnade hatte sie aber, zu ermahnen und zu trösten. Den Spruch: „Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ habe ich aus ihrer Tröstung verstehen lernen. Ueberhaupt leuchtet sie insonderheit als Mutter. Sie wußte, daß sie Mutter war und darum die hohe Majestät besaß. Wie sie bis ins höchste Alter vor ihrem Vater und ihrer Mutter sich neigte; so oft sie ihrer gedachte, es mit inniger Verehrung that: so forderte sie ein Gleiches von ihren Kindern nicht, im Gegentheil, sie fand sich gedemütigt durch die Liebe und Ehrerbietung ihrer Kinder, sie hätte dieselbe gewiß nicht angenommen, wenn nicht das Bewußtsein der Mutterschaft sie dahin erhoben hätte, sich kindlich ehren zu lassen, wie sie ihre Eltern ehrte und damit den Segen des vierten Gebotes ganz offenbar ererbte. Allein die Würde der Mutterschaft war weitaus nicht mächtig genug, die Güte, die Liebe, die Hinneigung, die Aufopferung ihres mütterlichen Herzens zu übertreffen. Gewis, keine Gluckhenne hat so um ihre Küchlein je gegluckt, als meine Mutter um ihre Kinder. Ihre mütterliche Liebe machte sie nicht blos sorgen- sondern auch ahnungsvoll. Es sind Beispiele vorhanden, daß sie auf 32 Stunden hin schmerzenvoll ahnte, daß einem ihrer Kinder groß Leid geschehen werde. Ihre mütterliche Liebe wurde Ahnung und wie unzählig öfter Gebet! Wann hat sie mein, der ich am meisten und häufigsten von ihr räumlich getrennt war, vergessen, an welchem Morgen und Abend nicht für mich gebetet? ... Aber was will ich hier sagen, was rühmen? Der große Gott im Himmel hat kein höheres Bild der Liebe geschaffen, als Mutterliebe, und meine Mutter war ohne Zweifel ein leuchtendes Beispiel dieser hohen Liebe. Vor Gott und allen seinen heiligen Engeln, jetzt und in der Stunde meines Abschieds, in meinem Namen und im Namen meiner lebenden und heimgegangenen Geschwister gebe ich meiner Mutter das Zeugnis

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/105&oldid=- (Version vom 1.8.2018)