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und besiegle es für die Wahrhaftigkeit eines Dieners Christi, daß die Liebe dieser Mutter eine unaussprechliche, eine nie versiegende Flamme gewesen ist – und noch ist.

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 „Noch ist“, sage ich. Denn sie ist nicht todt, sondern sie lebt. Der HErr ist ihr Gott, und der ist kein Gott der Todten, sondern der Lebendigen. Die Todesschmerzen meiner lieben Mutter waren so groß, daß sie mir zuweilen zur Anfechtung gedeihen wollten. Vor dem Auge der Sterbenden hieng das Bild des Dorngekrönten; wie oft richtete ich meine Blicke dorthin und sagte laut oder leise: „Ja, Du bist ein großer König, denn Du kannst es sehen, ja verfügen, wie Deine Heiligen alle Tage – denn meine Mutter ist nur eine von Millionen, die also leiden und litten – mit unaussprechlichem Schmerz zubereitet werden. Seit 1800 Jahren kannst Du das fügen und weichst von Deinem Wege nicht, wenn wir auch noch so schreien. Du bist ein Herz, das Alles das in einem Maße erfahren hat, von dem wir nichts verstehen oder begreifen: Du bist das mitleidigste Herz geworden durch Dein eigen Leiden. Was ist denn mein kindlich Mitleid? Und doch kannst Du das alles fügen, so fügen – und zusehen, zusehen, das Feuer sehen und schüren, wodurch Deine Heiligen geläutert werden. Was bist Du für ein Menschensohn und für ein großer König!“ So habe ich oft gesagt. Aber St. Johannes schreibt: „Selig sind die Todten, die im HErrn sterben“, und meine Mutter schreibt in ihrer Leichenanordnung: „Mein Leichentext ist: ,Selig sind die Todten, die im HErrn sterben‘. Und das ist ja gewislich wahr. Im HErrn sterben heißt nicht schmerzlos sterben, ohne Anfechtung, ungeprüft, schön, sanft und leise sterben: im Gegentheil, ein Sterben ohne Todeskampf ist ein gefährlich Ding: wo kein Kampf ist – wie leicht kann es kommen, daß da auch kein Sieg ist! Denn im Kampf ist der HErr mit den Seinen.

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 2). C. Bertelsmann, Gütersloh 1880, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_2.pdf/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)